Marco Polo der Besessene 2
der Posten im guten christlichen Flandern lag, meinte ich, es erst mit Donata besprechen zu müssen.
Sie schloß sich meiner Meinung an, daß sie zumindest einmal im Leben irgend etwas außer ihrer Heimatstadt Venedig sehen sollte, und so nahm ich den Posten an. Donata war bei unserer Abreise bereits hochschwanger, doch nahmen wir unseren weisen venezianischen Arzt mit, und da die Reise auf einer schweren, durch nichts zu erschütternden flämischen Kogge vonstatten ging, litt keiner von ihnen, weder sie noch unsere kleine Fantina; nur der arme Dotòr Abano war die ganze Zeit über seekrank. Glücklicherweise hatte er sich längst wieder erholt, als Donata niederkam. Wieder war es eine leichte Geburt und wieder beklagte Donata sich nur darüber, daß sie zu leicht gewesen sei, denn wieder brachte sie eine Tochter zur Welt.
»Pst, pst!« machte ich. »In den Champa-Landen werden Mann und Frau noch nicht einmal verheiratet, bevor sie nicht zwei Kinder bekommen haben. So betrachtet, haben wir gerade erst angefangen.«
Diese nannten wir Bellela.
Venedig unterhielt ein ständiges Konsulat in Brügge -und gewährte seinen vornehmeren Ene-Aca-Bürgern die Gunst, hier einander abwechselnd Dienst zu tun -, denn zweimal jährlich segelte eine zahlenstarke Flotte mit den Erzeugnissen Nordeuropas beladen in dem vor Brügge gelegenen Hafen Sluys ab. Wir verlebten ein höchst erfreuliches Jahr in dem feinen Konsulatsgebäude an der Place de la Bourse, einem luxuriös mit jeder Bequemlichkeit eingerichteten Haus, zu dem auch ein ständiger Dienstbotenstamm gehörte. Die Arbeit belastete mich nicht im Übermaß, denn ich hatte kaum mehr zu tun, als die Frachtpapiere der zweimal im Jahr ablegenden Flotte zu prüfen und zu entscheiden, ob sie diesmal direkt nach Venedig laufen sollte, oder ob noch Stauraum für andere Fracht vorhanden war, in welchem Fall eines, mehrere oder auch alle Schiffe den Umweg über London oder Southampton und den Ärmelkanal oder Ibiza oder Mallorca im Mittelmeer machten, um dort Landesprodukte zu übernehmen.
Den größten Teil des Konsulatsjahres verbrachten Donata und ich damit, uns königlich von anderen Konsulardelegationen und flämischen Kaufmannsfamilien auf Bällen und Banketten und lokalen Festen wie der Heilig-Blut-Prozession bewirten zu lassen. Viele der Leute, bei denen wir zu Gast waren, hatten in dieser oder jener Sprache bereits die Weltbeschreibung gelesen, alle jedoch zumindest davon gehört. Da alle die Handelssprache Sabir sprachen, stellte man mir viele, viele Fragen hinsichtlich des Inhalts des Buches und ermunterte mich, diesen und jenen Aspekt einer Sache noch zu verdeutlichen. So eine Gesellschaft ging dann oft bis spät in die Nacht, und Donata saß da und lächelte voller Besitzerstolz. Solange Damen dabei waren, begnügte ich mich mit harmlosen Themen.
»Unsere Flotte hat heute Eure guten Nordseeheringe geladen, meine Herren Kaufleute. Vorzüglicher Fisch, der Hering, doch ich persönlich ziehe frischen Fisch vor, wie wir ihn heute abend bekommen haben, weder gesalzen noch geräuchert, noch in Lake eingelegt. Ich würde vorschlagen, Ihr solltet sie frisch auf den Markt bringen. Ja, ja, ich weiß, frische Fische halten sich nicht und lassen sich daher nicht transportieren. Aber im Norden von Kithai habe ich so etwas doch erlebt, und Euer Klima hier ist sehr ähnlich. Im Norden Kithais dauert der Sommer nur drei Monate, und deshalb holen die Fischer aus Flüssen und Seen heraus, was sie bekommen können -jedenfalls viel mehr Fische, als sie in derselben Zeit verkaufen können. Und was sie nicht verkaufen können, werfen sie in ein flaches Bassin, in dem sie sie bis zum Winter lebendig halten. Dann brechen sie das Eis des Bassins auf, holen die Fische einzeln heraus, und der Winterkälte ausgesetzt, gefrieren die Fische praktisch zu Eis. Sie werden wie Feuerholz verpackt, bündelweise auf Tragesel geladen und in die Städte gebracht, wo die reichen Leute unerhörte Preise für solche Delikatessen bezahlen. Und wenn die Fische aufgetaut und gekocht sind, schmecken sie so frisch wie im Sommer gefangene.«
Ausführungen dieser Art brachten oft zwei oder drei, oder auch mehr der ehrgeizigeren Kaufleute dazu, nach einem Diener zu rufen, der eine dringende Nachricht in ihr Kontor tragen mußte: Ich nehme an, sie lautete etwa: ›Laßt uns die lächerlichen Vorstellungen dieses Mannes mal ausprobieren.‹ Die Kaufleute selbst verließen eine Gesellschaft nicht, denn wenn die Damen
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