Marcos Verlangen
redete sie gar nicht erst weiter. „Schon gut“, meinte sie schließlich resigniert, „ich gehe dann wohl besser.“
„Ja. Das ist wirklich besser. Aber eins sag ich dir, du undankbare Göre.“ Sie wandte sich nun doch zu ihrer Tochter um. „Wenn sich dein Vater darüber so aufregt, dass er einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall bekommt, dann bist nur du daran schuld, hast du verstanden?“
Ella verdrehte die Augen zum Himmel, schluckte aber eine passende Antwort hinunter, obwohl sie fast daran erstickte. Mit einem Mal wollte sie nur noch fort. Also nickte sie nur und stand auf.
„Gute Nacht, mamma.“
„Nacht. Und mach die Tür leise zu, wenn du gehst.“
„Mache ich. Gute Nacht, papá.“
Eisernes Schweigen war die einzige Antwort, die sie bekam. Frustriert drehte sie sich um und verließ ihr Elternhaus.
Ella war schockiert. Wie hatte sie ihre Eltern nur so vollkommen falsch einschätzen können? Eine derartige Reaktion hatte sie nicht erwartet, im Gegenteil. Gut, ihr Vater war immer schon etwas altmodisch und vielleicht auch engstirnig gewesen, aber was sie da gerade erlebt hatte, hätte eher in eine amerikanische Sitcom gepasst, als in eine moderne, italienische Familie. Verbohrt und herrisch – anders konnte man das nicht nennen, was ihr Vater da abgeliefert hatte und ihre Mutter war keinen Deut besser gewesen.
Zum Teufel, sie hatte immer geglaubt, sie wären ganz normal, und jetzt das!
Ihr erster Impuls war, Marco anzurufen, doch etwas hielt sie zurück. Ihre Mutter hatte tatsächlich ganze Arbeit geleistet mit ihren gehässigen Bemerkungen voller Vorurteile und sie fragte sich plötzlich mit bangem Herzen, ob es möglich war, dass Marco es tatsächlich nicht so ernst mit ihr meinte, wie er vorgab.
Als sie am Sonntagnachmittag mit ihm durch den Park geschlendert war, da war ihr alles so klar und logisch erschienen. Er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und wollte sie bei sich haben. So einfach war das. Er hatte ihr das gesagt und sie hatte es ihm geglaubt. Nur – was, wenn er wirklich nur mit ihr spielte? Besaß sie genug Menschenkenntnis, um echte von vorgetäuschten Gefühlen zu unterscheiden? Oder genügten nur ein paar Takte Süßholzraspeln, um sie sofort den Kopf verlieren zu lassen?
Wieder wurde ihre Kehle eng. Sie fühlte sich, als säße sie in der Falle. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen?
In diesem Augenblick läutete ihr Telefon. Einen wilden, hoffnungsfrohen Moment lang dachte sie, es wäre ihr Vater, der ihr sagte, dass er ihre Vorstellungen nun doch akzeptiert habe und ihr alles Gute wünsche, doch es war natürlich nur eine Illusion.
Es war nicht ihr Vater – es war Marco.
Sie starrte auf seinen Namen auf dem Display und wusste plötzlich, dass ihre ganze eiserne Beherrschung dahin sein würde, wenn sie jetzt abnahm und mit ihm redete. Sie würde ihm etwas vorheulen und sich maßlos vor ihm blamieren. Und vielleicht rief er ja auch nur an, um ihr mitzuteilen, dass er es sich in der Zwischenzeit anders überlegt hätte. Immerhin hatte er sich in den letzten beiden Tagen nicht blicken lassen, angeblich, weil sein Terminkalender übervoll gewesen war. Vielleicht hatte ja ihre Mutter Recht und er war ihrer bereits überdrüssig.
Das Klingeln verstummte.
Erleichtert legte Ella das Telefon beiseite.
Sie war müde. Sie war müde und sie fühlte sich entwurzelt. Entwurzelt und sehr, sehr alleine.
Wieder piepte ihr Telefon. Marco hatte ihr eine Nachricht geschrieben.
„Engelchen“, stand da zu lesen, „bei dir brennt noch Licht. Warum gehst du nicht ans Telefon? Ich sehne mich unendlich nach dir, lass mich nicht länger zappeln und antworte mir.“
Fassungslos hielt sie den Atem an. ‚Bei dir brennt noch Licht‘? Stand er etwa vor ihrem Haus?
„Wo bist du?“, schrieb sie zurück und kam sich reichlich idiotisch vor. Im selben Augenblick piepste ein Handy draußen vor ihrer Wohnungstür und als sie diese stürmisch aufriss, sah sie direkt in Marcos Augen.
„Guten Abend, mein Engel.“ Er schenkte ihr ein umwerfendes Lächeln, das die Härte seiner kantigen Gesichtszüge auf erstaunliche Weise abmilderte. „Du hast doch nicht etwa Herrenbesuch, weil du mir nicht antwortest?“
Lässig schlenderte er in den Flur und schloss die Tür hinter sich. Ella starrte ihn mit großen Augen an.
„Was machst du hier?“
„Das ist aber kein sehr herzlicher Empfang, finde ich.“
Er fasste sie mit einer Hand um die Taille und zog sie an sich. Mit der
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