Marcus Gladiator 02 - Strassenkämpfer
aber seither mit diesem Viertel bergab gegangen war. Nun ragten rings um die vornehmen Häuser viele baufällige Mietshäuser mit mehreren Stockwerken auf, in denen verarmte Bauernfamilien lebten, die gezwungen waren, sich in der Stadt Arbeit zu suchen. Ihnen waren Einwanderer aus allen Winkeln des Mittelmeerraums gefolgt: Griechen, Numider, Gallier und Juden. Nun lebten sie alle dicht gedrängt in der Subura, und die engen Straßen hallten vor Stimmen wider, die in vielen verschiedenen Sprachen riefen. Die unverwechselbaren Aromen der unterschiedlichen Küchen vermischten sich miteinander und waren so übermächtig, dass sie sogar den über allem liegenden Gestank der verwesenden Lebensmittel und der Abwässer überdeckten.
Obwohl sich Marcus nun schon beinahe zehn Tage in der Stadt aufhielt, hatte er sich noch nicht ganz an die stinkenden Straßen gewöhnt. Die farbenfrohe Mischung der verschiedenen Gewänder, der Krach und die Geschäftigkeit der Gegend faszinierten ihn. Er war auf einem abgelegenen Bauernhof auf einer kleinen griechischen Insel aufgewachsen und hatte nur die begrenzten Freuden der nahe gelegenen Marktstadt kennengelernt, wo sich dreimal im Monat mürrische Bauern zusammenfanden und miteinander Handel trieben. Die Erinnerung machte ihm das Herz schwer, als er daran dachte, wie er neben dem Mann, von dem er einmal angenommen hatte, er sei sein Vater, zum Markt gegangen war. Titus war hart und oft unnahbar und kalt gewesen – ein ehemaliger Soldat, der Marcus meist mit äußerster Strenge behandelte. Aber ab und zu schmolz diese ernste Fassade und Titus trug mit Marcus auf dem kleinen Hof des Bauernhauses verspielte Ringkämpfe aus oder erzählte ihm Geschichten von seinen Abenteuern als Soldat.
Marcus seufzte traurig, als er sich an seine frühe Kindheit erinnerte, war hin- und hergerissen zwischen lieb gewordenen Erinnerungen und dem Wissen, dass man ihn damals angelogen hatte. Titus war nicht sein Vater. Das hatte man ihm vor weniger als einem Monat enthüllt, als er die Gladiatorenschule verlassen hatte und auf dem Weg nach Rom war, um sich dort bei seinem neuen Herrn einzufinden.
Brixus, ein ehemaliger Gefolgsmann von Spartakus, war ihm damals gefolgt und hatte ihm die Wahrheit anvertraut. Marcus fasste sich mit der Hand über die Schulter und fuhr mit den Fingern unter den Halsausschnitt seiner Tunika, um den Umriss des Zeichens abzutasten, mit dem man ihn gebrandmarkt hatte, als er noch ein Kleinkind war. Es war der auf ein Schwert gespießte Kopf eines Wolfes, das Geheimzeichen, das auch Spartakus und seine engsten Gefolgsleute getragen hatten, einschließlich der Frau, die er geliebt hatte, und einschließlich ihres gemeinsamen Kindes Marcus. Brixus hatte ihm erklärt, es wäre sein Schicksal, die Aufgabe seines wahren Vaters zu übernehmen und den nächsten Sklavenaufstand anzuführen – den Aufstand, der endlich Rom besiegen und alle Sklaven befreien würde, die noch unter dem Joch ihrer grausamen römischen Herren lebten.
Marcus verzog wütend das Gesicht. Seine Welt war aus den Angeln gehoben worden. Alles, was er zu wissen glaubte, erwies sich als falsch, und in ihm tobte ein Sturm der Gefühle. Er liebte Titus, den zähen, stolzen Veteranen der römischen Legionen, immer noch. Und doch floss in Marcus’ Adern kein Tropfen römisches Blut. Sein wahres Erbe, das waren die unzähligen Millionen unterdrückter Sklaven, die aneinandergekettet in den Bergwerken ihr elendes Dasein fristeten oder starben, auf den Landgütern reicher Römer oder als Arbeitstiere in den feinen römischen Villen schufteten oder als Quelle blutiger Unterhaltung in den Gladiatorenspielen um ihr Leben kämpften. Dies war Marcus’ wahre Identität, das war er immer gewesen – ein Sklave, sonst nichts.
Dieses Wissen brannte ihm schmerzlich im Herzen. Er verspürte Bitterkeit wegen des Betrugs und konnte nicht glauben, dass seine Mutter ihm sein Leben lang die Wahrheit vorenthalten hatte. Auf seinen Zorn folgten sogleich unendliche Schuldgefühle. Seine Mutter war alles, was er auf der Welt liebte, und sein einziges Lebensziel war, sie zu finden und zu befreien.
Marcus hatte den Plan gefasst, General Pompeius, Titus’ ehemaligen Befehlshaber, zu finden und ihn um Hilfe für die Rettung seiner Mutter zu bitten. Diesen Gefallen würde ein römischer General einem seiner ehemaligen Offiziere vielleicht gewähren, aber gleichzeitig würde es für Marcus und seine Mutter Livia das Todesurteil bedeuten, wenn je
Weitere Kostenlose Bücher