Marcus Gladiator - Aufstand in Rom (German Edition)
packte Marcus seine Zügel und wandte sich ab, galoppierte hinter Caesar her. Die anderen waren schon weit hinter der Passhöhe und hielten auf das offene Gelände dahinter zu. Hinter ihnen hallte der Lärm der Verfolger von den Felsen wider, als Mandracus einen Befehl schrie.
»Jagt sie! Tötet sie alle!«
Seine dröhnende Stimme klang zwischen den Felsen wie Donner und Marcus schaute sich noch einmal um. Der erste Reiter raste gerade an seinem Anführer vorbei. Da hörte man ein anderes Geräusch, ein dumpfes Krachen. Oberhalb der Passhöhe bewegte sich etwas und erregte Marcus’ Aufmerksamkeit. Die dort aufgehäuften Schneemassen kippten langsam vor, zerstoben dann in einer riesigen, weißen Explosion in große Brocken, die mit Brüllen und Zischen auf die Passhöhe stürzten. Die Reiter hatten kaum Zeit, um aufzublicken, ehe die Lawine sie erfasste, mitsamt ihren Pferden fortriss und unter einem großen Wirbel von Schnee und Felsen begrub. Marcus verlangsamte sein Pferd und drehte sich im Sattel um, weil er beobachten wollte, wie die letzten Schneemassen herunterprasselten. Dann war alles still.
»Marcus!«, rief Festus. »Wir müssen weiter!«
»Ja.« Marcus schluckte und nickte. »Ja, ich komme.«
Festus galoppierte davon, während Marcus einen letzten Blick zurückwarf. Er verspürte ein betäubendes Gefühl des Verlustes. »Lupus …«
Dann atmete er tief ein, packte die Zügel und wendete sein Pferd. Er trieb es zum Galopp und das Tier trug ihn fort von den Schrecken des eben Erlebten.
Es war stockdunkel, und man konnte unmöglich sagen, wo oben und unten war, als Lupus sich genug erholt hatte, um irgendetwas zu denken. Er lag zu einer Kugel zusammengerollt da, spürte nur, dass vor ihm ein freier Raum war, in dem er Luft holen konnte. Ihm war kalt und seine Gliedmaßen waren taub. Schon jetzt roch die Luft faulig, und er verspürte ein kribbelndes Gefühl in den Lungen, als erstickte er allmählich. Einen Augenblick lang konnte er sich nicht erinnern, wie er an diesen Ort geraten war. Vielleicht war er bereits ins Schattenreich hinübergewechselt, überlegte er. Vielleicht war man nach dem Tod eine Ewigkeit in einem stickigen, schwarzen, eisigen Nichts gefangen. Diese Aussicht erfüllte ihn mit Furcht und Schrecken. Er versuchte, sich zu bewegen. Aber er konnte nur den Kopf von einer Seite zur anderen drehen, während er die Hände in eine Decke aus Schnee krallte.
»Nein …«, murmelte er vor sich hin. »Nein! Nein! Ich bin nicht tot. Ich will nicht sterben! Nein!«
Seine Schreie klangen hohl, und die Anstrengung machte ihm das Atmen noch schwerer, also hörte er auf zu schreien und japste nach Luft. Dann vernahm er sie. Stimmen. Zunächst schienen sie weit weg zu sein, doch allmählich kamen sie näher, waren deutlicher.
»Hier!«, rief er. »Hier drin.«
Nach einer Pause hörte er sie wieder, ganz in der Nähe. Dann ein kratzendes Geräusch. Er spürte Bewegung rings um sich herum. Dann bemerkte er an einer Seite einen schwachen Lichtschein. Der wurde heller, als die Geräusche lauter wurden, und schließlich schwappten Licht und Lärm und frische Luft über ihn herein. Er atmete ein paar Mal tief durch, als ihn eine Hand unter der Schulter packte und ihn aus dem Schnee und Eis ins Freie zog.
»Mandracus! Ich habe einen von ihnen. Einen Jungen.«
Alle Erleichterung, die Lupus bei seiner Rettung verspürt hatte, verging sofort, als er sich aufsetzte und sich umschaute. Die Passhöhe war voller Schnee, ein einziges Chaos. Ein in Pelze gehüllter Mann stand über ihm. Andere gruben verzweifelt und suchten nach ihren Kameraden. Manche hatte man bereits gerettet, auch einige Pferde, und die Überlebenden saßen, von einer Eisschicht bedeckt, in der Nähe und bibberten.
Mandracus kam über die Trümmer und den Schnee hinweg auf sie zu. Sein Gesichtsausdruck war finster und wütend. Dann stand er vor Lupus und starrte ihn böse an.
»Ich habe über zwanzig Männer verloren, von deinem Herrn und seinen Freunden umgebracht oder bei lebendigem Leibe unter dem Schnee begraben.«
»Bitte, bitte, tut mir nicht weh«, flehte Lupus, der zitternd dasaß.
»Wehtun?« Mandracus runzelte die Stirn. »Ich werde dir nicht wehtun, Junge. Ich habe dich befreit. Du bist jetzt einer von uns. Komme, was da wolle. Deine Tage als Sklave sind vorbei.«
Lupus traute seinen Ohren kaum. Als er den Sinn dieser Worte endlich erfasst hatte, schaute er hoffnungsvoll auf. »Ich bin frei?«
Mandracus nickte.
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