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Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Wieninger
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die Straßenseite, steckte den Sicherungssplint in die Waffe und ließ sie in den Hosensack gleiten.

XXX
    „Sie haben ja nicht die geringste Vorstellung von einer Intensivstation. Es ist bei uns nicht so wie im Fernsehen, wo die Intensivpatienten mit gestärkten Pyjamas frisch frisiert in kuscheligen Bettchen der Genesung entgegenschlummern. Unsere Fälle sind nackt, gelb wie Maismehl von dem Desinfektionsmittel, mit dem wir sie tagtäglich abreiben, und tödlich bedroht schon von einem einzigen Bakterium aus Ihrer großen Nase etwa.“ Die dienstführende Stationsschwester hatte ein Gesicht, das sich nie jemand merken würde. Ihre Stimme war keimfrei wie ein Kleenex.
    Sie trug eine giftgrüne Leinenhose sowie eine ebensolche Unisexbluse und roch nach der Mechanik eines Kernspintomographen oder etwas Ähnlichem.
    „Aber ich bin sein Bruder - Ing. Marek Salek, Sicherheitstechniker - und extra aus St. Pölten angereist. Das sind zwei Stunden Fahrt.“ Ich fühlte mich nicht allzuschlecht, als ich mich in Saleks Familie hineinlog. In Familien wurde immer schon gelogen. Jakob etwa hatte seinen Vater, den biblischen Patriarchen Isaak, noch am Sterbebett angeflunkert, und der Kirchenvater Augustinus hatte das nicht als Lüge, sondern als Wunder interpretiert.
    „Wollen Sie ihn unbedingt umbringen - mit ein bißchen Rotz oder Sputum Ihrerseits? Ich hole Ihnen jemanden, der Ihnen Auskunft gibt.“ Sehr sorgfältig verschloß die Oberschwester die pneumatische Tür zur Intensivstation vor mir und machte sich davon.
    Mir blieb der Blick auf die circa achtzig Quadratmeter beiger Rauhfasertapete den ganzen Gang entlang bis zum Personallift, in dem die gesichtslose Pflegerin schließlich verschwand.
    Was man nirgendwo lernte, war das Warten, das Warten auf nichts, das interesselose, zwecklose Sammeln von Beobachtungen, von Details. Das Schlangenäugige. Denn die Dinge (und die Menschen) verschwinden nicht einfach. Es bleibt immer etwas zurück, entweder ein Kratzer, eine unbezahlte Rechnung, ein Quantum Haß, oder das Verschwundene meldet sich auf einmal zurück wie ein Schleier Spinnweben, wie eine Ahnung des Unglücks, wie ein Traum, den man noch im Schlaf vergessen hat. Man muß nur darauf warten können.
    Mit einem Mal ertönte die Klingel des Liftes, dem die gestrenge Oberschwester und eine Gestalt im weißen Mantel, dem sichtbaren Privilegium minus der Medizinmänner, entstiegen - es war dieselbe zierliche, energische Ärztin, die Longinus erstversorgt hatte.
    „Ich wußte gar nicht, daß Dr. Salek einen Bruder hat“, schrie sie mich aus gut dreißig Metern Entfernung an. Junge Frauen haben gute Lungen.
    „Ich auch nicht.“ Meine Stimme mußte nur mehr für knapp fünfundzwanzig Meter reichen.
    „Hat die Polizei Sie laufen lassen oder sind Sie ausgebrochen?“ Zwanzig Meter.
    „Vergessen Sie nicht: Ich bin Saleks Schutzengel. Ich kann fliegen.“ In Wirklichkeit war es nichts mit dem Davonflattern - ich blieb einfach stehen, wo ich war, und ließ die pure Energie mit der Schwester im Schlepptau auf mich zukommen. Es blieb mir sowieso nichts anderes übrig.
    „Was wollen Sie bloß?“ Keine zehn Meter mehr.
    „Ihn besuchen.“
    „Warum?“ Sie war nun ganz herangekommen und versuchte, mich forsch niederzustarren.
    „Weil er mir beigebracht hat, daß Vergil ein großer Dichter ist.“
    „Papperlapapp, im Moment darf ihn niemand besuchen, nicht einmal seine leibliche Mutter. Er ist zugleich am Leben und zugleich tot. Er ist …“
    „Können Sie ihm etwas sagen?“ Die Ärztin gab ihren Starrblick auf. Vielleicht war sie überrascht, vielleicht war sie einfach nur pikiert über meine Blödheit.
    „Ja, stellen Sie sich neben sein Bett und sagen Sie ihm, daß die Krönung der Habilitation gebongt ist - ich habe den dreizehnten Mann.“
    „Und was heißt das im Klartext??“
    „Im Klartext heißt das, daß seine Mörder noch frisch, fröhlich, frei unter uns weilen und es ziemlich sicher ein zweites Mal probieren werden. Sie haben recht, absolut recht, niemanden zu ihm zu lassen.“ Und mit einem Gedankenblitz, der mir heute noch unerklärlich ist, fügte ich hinzu: „Vor allem nicht Frau Zenz.“
    Im Lift dachte ich: Armer Longinus! Wirst auf deinem Sterbebett noch angelogen!
    Dann boxte ich mir aufmunternd in den Magen und versuchte, beim Verlassen des Liftes wie einer auszusehen, der alles im Griff hat.

XXXI
    J. Nowak hatte zwar seine Wohnungstür wieder in die Angeln gehoben, aber das Schloß leistete

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