Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
Drachenköpfen. Darunter gab es nur eine Klingel und kein Namensschild wie bei gewöhnlich Sterblichen. An den Torflügeln waren Elektromotoren angebracht, und es gab hier insgesamt wohl fast soviel Elektronik wie im Hauptquartier von IBM - my home is my castle.
Das alles nahm ich in kurzen Seitenblicken wahr, während ich schneckenlangsam wie ein unterbezahlter, städtischer Straßenkehrer den Gehsteig vor der Straßenfront des Anwesens säuberte. Die lachhafte Maskerade wirkte. Kein Streifenwagen hielt mit quietschenden Reifen an, ich blieb unsichtbar, wie es dienstbare Geister wohl immer sind.
Punkt sieben Uhr früh hatte ich im Staub der Straße eine Erscheinung: Leise wie ein Gänsefederregen öffnete sich das Operntor, und Salome Zenz erschien darin wie eine berufstätige Aida: hochhüftig, im dunkelblauen Bürokostüm mit Perlenketten und perfekt gelegter Frisur und mit dem Gesichtsausdruck jener beneidenswerten Zeitgenossen, die alles richtig machen. Sie ging auf einen kleinen, eleganten Lancia zu, stieg unendlich stilvoll ein und fuhr los, ohne daß der morgenkalte Motor irgendwelche Mucken gemacht hätte. Alles war perfekt an ihr (nur Bausch hatte sie nicht ganz so perfekt überfahren).
Den Straßenkehrer sah sie wohl, bemerkte ihn aber nicht.
Bis dahin hatte ich J. Nowaks Adreßangabe nicht weiter getraut, als ich spucken konnte. Und das war nicht sehr weit.
Wenige Minuten später glitt ein schwarzer Mercedes wie ein großer Fisch aus dem Tor. In seinen dunklen Scheiben spiegelte sich ein neugieriger Straßenarbeiter, und das Scheinwerferglas war gelb.
XLII
„Du hältst dich also nicht für den richtigen Mann für diese Geschichte?“
‘Mann’ war auch etwas übertrieben, aber das sagte ich Jolly Tschabuschnigg natürlich nicht. Sein Büro war mit zwei Flipperautomaten ausstaffiert, einem vollelektronischen Dartbrett an der Wand, einem Cola-Automaten und unzähligen Postern von James Dean. An seine Tätigkeit als Klatschreporter bei der „Harlander Rundschau“ erinnerte nur ein dezenter Laptop auf so etwas wie einem Stehlesepult, das als Schreibtischersatz diente. Statt Sesseln gab es große Medizinbälle, und die Beachboys säuselten aus einer Anlage, die sicherlich mehr gekostet hatte als so mancher Mittelklassewagen.
„Es ist mir vollkommen egal, wofür du dich hältst. Meinetwegen für ein Meerschweinchen. Aber du steckst mitten drin nach dem, was ich dir schon erzählt habe. Auch wenn dein Ehrgeiz nur auf eine Narrenkappe geht - wenn ich dich zum Pulitzerpreis hinprügeln muß, prügle ich dich eben hin.“
„Bei uns gibt’s keinen Pulitzerpreis, nur Anstecknadeln von der Gewerkschaft“, warf Tschabuschnigg schüchtern ein.
Jolly, der nur aus Jeansstoff und Haaren zu bestehen schien und ein leichtes Leben hatte, war in der siebenten Klasse am Accusativus cum Infinitivo und an den regelmäßig unregelmäßigen lateinischen Verben gescheitert, wozu sicherlich auch beigetragen hatte, daß ich ihm als Mitschüler regelmäßig unregelmäßig eine Art Nachhilfeunterricht erteilt hatte, weil sich die Familie keinen richtigen Nachhilfelehrer leisten konnte. Nach Zwischenspielen als Lagerarbeiter, Inseratenkeiler und Hundewurstvertreter hatte er es immerhin zum professionellen Adabei gebracht, was in der kulturellen Hierarchie Harlands eindeutig mehr war als etwa Prominentenfriseur oder Haubenkoch.
„Wer wohnt in der Heidenheimer Straße 34? Im Nobelviertel, du warst sicher schon x-mal dort bei irgendwelchen Partys oder Empfängen.“
„Was ist, wenn ich es nicht wüßte?“
„Denk an den zerschlagenen Salek, denk an Bausch, an ihre Wunden, an das Blut. Hier geht es um Blut, mein Lieber, Blut, Blut, Blut.“
„Okay, okay, okay, die Jurys.“
„Wer sind die Jurys?“
„Mann, bist du ahnungslos.“
„Wer sind die Jurys?“
„Stadtadel. Großvater Bürgermeister, Vater Unterstaatssekretär, der Enkel hat irgend etwas mit Müll zu tun, in leitender Position. Müll ist ein politisches Geschäft, er war, glaube ich, schon einmal als Umweltlandesrat im Gespräch.“
„Lebt der Großvater noch?“
„Leben ist zuviel gesagt. Sie pflegen ihn in der Villa, soweit man ihn noch pflegen kann. Der Vater ist, glaube ich jedenfalls, bei einem Flugzeugabsturz umgekommen.“
„Du wirst einen Termin für mich vereinbaren, für heute. Jolly Tschabuschnigg interviewt die Jurys, die Prinzen der Stadt.“
„Das kann ich doch nicht tun.“
„Entweder du tust es, oder ich rufe selbst
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