Margaret Mitchell
Scarlett.«
Melanie
hatte ruhig mit den Händen im Schoß dagesessen, während ihr die Waffeln auf dem
Teller kalt wurden. Sie stand auf, trat hinter Scarlett und legte ihr die Arme
um den Hals.
»Liebes«,
sagte sie, »laß dich nicht irremachen. Ich verstehe dich. Was du gestern abend
getan hast, war tapfer von dir und eine große Hilfe für das Lazarett. Wenn
jemand sich untersteht, daran zu mäkeln, bekommt er es mit mir zu tun ... Tante
Pitty, nicht weinen! Es war hart für Scarlett, daß sie nirgends hingehen durfte.
Sie ist eben noch ein Kind.« Ihre Finger glitten spielend durch Scarletts
schwarzes Haar. »Vielleicht täte es uns allen besser, wenn wir hin und wieder
ausgingen. Ist es nicht eigentlich sehr selbstsüchtig von uns, wenn wir uns so
mit unserem Kummer einschließen? In Kriegszeiten ist das etwas anders als
sonst. Wenn ich an all die Soldaten in der Stadt denke, die fern von zu Hause
sind und keine Freunde haben, die sie abends besuchen können ... und an die im
Lazarett, die gesund genug sind, aufzustehen, und doch nicht gesund genug, an
die Front zurückzukehren ... ja, wir sind selbstsüchtig gewesen! Wir sollten
auf der Stelle, wie jeder andere, drei Genesende ins Haus nehmen und jeden
Sonntag ein paar Soldaten zu Tisch haben. So, Scarlett, nun mach dir keine
Gedanken mehr. Wenn die Leute dich verstehen, reden sie auch nicht. Wir alle
wissen, wie lieb du Charlie gehabt hast.«
Scarlett
machte sich durchaus keine Gedanken mehr darüber, aber Melanies weiche Hände in
ihrem Haar waren ihr unangenehm. Es reizte sie, mit einem Ruck den Kopf
wegzuziehen und »dummes Zeug!« zu sagen, denn die Erinnerung daran, wie
Landwehr, Landsturm und all die Frontsoldaten aus dem Lazarett sich um Tänze
mit ihr gerissen hatten, erwärmte sie noch immer. Von allen Menschen wünschte
sie sich Melly am wenigsten zur Verteidigerin. Sie wollte schon für sich selbst
aufkommen, danke schön, und wenn die alten Drachen fauchen wollten nun, sie
konnte auch ohne sie auskommen. Für sie gab es viel zuviel nette Offiziere auf
der Welt, als daß sie sich über alte Weiber und ihr Gerede den Kopf zerbrechen
müßte.
Bei
Melanies beruhigenden Worten tupfte sich Pittypat die Augen. Da kam Prissy mit
einem dicken Brief herein.
»Für Sie,
Miß Melly. Ein kleiner Negerjunge ihn bringen.«
»Für
mich?« Melly konnte sich nicht denken, woher er kam, und öffnete den Umschlag.
Scarlett
beschäftigte sich gerade mit ihren Waffeln und bemerkte nichts weiter, bis sie
Melly in Tränen ausbrechen hörte und, als sie aufblickte, Tante Pittypat sich
nach dem Herzen greifen sah.
»Ashley
ist tot!« kreischte Pittypat, warf den Kopf zurück und ließ beide Arme schlaff
heruntersinken.
»Mein
Gott!« Scarletts Blut erstarrte.
»Nein!
Nein!« rief Melanie. »Rasch das Riechsalz, Scarlett! Nun komm, Tante, fühlst du
dich besser? Tief atmen! Nein, es ist nicht Ashley. Es tut mir leid, daß ich
euch einen Schrecken eingejagt habe. Ich weinte vor lauter Freude.« Und auf
einmal öffnete sie die Faust und drückte etwas, was darin steckte, an die
Lippen. »Ich bin so glücklich!« Und wieder brach sie in Tränen aus.
Scarlett
sah, daß es ein breiter, goldener Ring war.
»Lies.«
Melly wies auf den Brief, der am Boden lag. »Ach, wie lieb und gut von ihm!«
Scarlett
wußte nicht, was sie davon denken sollte, sie hob das Blatt auf und las die
breiten kühnen Schriftzüge: »Mögen die Konföderierten auch das Blut ihrer
Männer brauchen, das Herzblut ihrer Frauen verlangen sie noch nicht. Nehmen
Sie, liebe gnädige Frau, dieses Zeichen meiner Verehrung für Ihre Tapferkeit
entgegen, und meinen Sie nicht, Ihr Opfer sei umsonst gebracht. Dieser Ring ist
für das Zehnfache seines Wertes eingelöst worden. Kapitän Rhett Butler.«
Melanie
steckte sich den Ring an den Finger und betrachtete ihn liebevoll.
»Habe ich
nicht gesagt, daß er ein Gentleman ist?« wandte sie sich an Pittypat und
lächelte glücklich durch die Tränen auf ihren Wangen. »Nur ein feinfühliger,
verständnisvoller Gentleman konnte sich vorstellen, wie es mir das Herz brach!
Ich schicke statt dessen meine goldene Kette. Tante Pittypat, du mußt ihm eine
Zeile schreiben und ihn Sonntag zum Mittagessen einladen, damit ich ihm danken
kann.«
Keiner der
beiden andern war es in ihrer Erregung aufgefallen, daß Kapitän Butler nicht
auch Scarletts Ring zurückgeschickt hatte. Sie aber merkte es und ärgerte sich
darüber. Sie wußte, daß Kapitän Butler nicht aus
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