Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
hatte. Immer waren sie von einem sehnsüchtigen Heimweh nach
Twelve Oaks erfüllt, und manches kam Scarlett vor wie der Aufschrei einer
gequälten Seele, die Dingen ins Gesicht sehen muß, welche über ihre Kraft
gehen. Sie wurde nicht daraus klug: Wenn er sich vor Schmerz und Tod nicht
fürchtete, vor was fürchtete er sich denn?
    »Der Krieg
bringt ihn aus seiner Ruhe«, überlegte sie, »und alles das mag er nicht, was
ihn aus der Ruhe bringt, mich zum Beispiel ... Er liebte mich, aber er hatte
Angst, mich zu heiraten, weil er fürchtete, ich würde Unruhe in sein Dasein
bringen. Nein, Angst vor mir hatte er eigentlich nicht. Er ist kein Feigling.
Er wird in Kriegsberichten erwähnt, und Oberst Sloan hat an Melanie
geschrieben, wie tapfer er den Sturmangriff führte. Hat er sich einmal zu etwas
entschlossen, so kann niemand tapferer sein als er, aber er lebt iii seinem
Innern anstatt draußen in der Welt. Er haßt es, in die unruhige Welt hinaus zu
müssen. Hätte ich aber dieses eine an ihm schon damals verstanden, ich weiß, er
hätte mich geheiratet.«
    Ihre
Sehnsucht nach ihm hatte sich seit dem Tage, da sie sich zuerst in ihn
verliebte, nicht geändert. Immer noch war die mädchenhafte Schwärmerei für den
Mann, den die kindliche Seele nicht begreift, die Anbetung dessen, der alles
hat, was sie nicht hat, in Scarlett lebendig. Immer noch war er der vollkommene
Ritter aus den Träumen eines kleinen Mädchens, ein Traum, der nichts weiter
heischte als die Gewährung der Liebe und nicht weiter ging als bis zum Kuß. Nachdem
sie die Briefe gelesen hatte, wußte sie sicher, daß er sie, Scarlett, liebte,
obwohl er Melanie geheiratet hatte, und mehr als diese Gewißheit begehrte sie
kaum. So jung und unberührt war sie, trotz allem, immer noch. Wäre Charles mit
seiner schüchternen Zärtlichkeit an die wirkliche Ader ihrer verborgenen Leidenschaft
gestoßen, so würden ihre Träume von Ashley jetzt nicht bei einem Kusse enden.
Aber die paar Mondnächte mit Charles hatten sie nicht zur Reife entwickelt.
Bisher hatte Leidenschaft ihr nur als Dienst an einer unerklärlichen männlichen
Verrücktheit, an der die Frau keinen Teil hat, gegolten, als ein schmerzlicher
und peinlicher Vorgang, der unentrinnbar zu dem noch schmerzlicheren und
peinvolleren Vorgang des Gebärens führte. Vor der Hochzeit hatte Ellen ihr
angedeutet, die Ehe sei etwas, was die Frau mit Würde und Seelenstärke zu
ertragen habe. Die verstohlenen Bemerkungen anderer Frauen hatten ihr dies
während ihrer Witwenschaft bestätigt. Scarlett war froh, Leidenschaft und Ehe
hinter sich zu haben.
    Die Ehe
hatte sie hinter sich, nicht aber die Liebe. Ihre Liebe zu Ashley war etwas
anderes, das nichts mit Leidenschaft und Ehe zu tun hatte, war etwas Heiliges
und atemberaubend Schönes, ein Gefühl, das in den langen Tagen der ihr
aufgezwungenen Stille heimlich anwuchs und sich von süßen und schmerzlichen
Erinnerungen nährte. Und wie immer entglitt die Lösung der Frage, warum sie
denn eigentlich Ashley liebe, ihrem allzu ungeübten Verstand. Sie legte die
Briefe in die Schatulle zurück und schloß den Deckel. Aber plötzlich fiel ihr
der letzte Teil, den sie gelesen hatte, wieder ein. Wie sonderbar, daß etwas,
was dieser Kapitän Butler vor einem Jahre gesagt hatte, Ashley noch immer
nachging! Kapitän Butler war unleugbar ein Schuft, wenn er auch noch so
göttlich tanzte. Nur ein Schuft konnte so etwas über die Konföderierten Staaten
sagen wie er damals auf dem Basar.
    Sie ging
durch das Zimmer an den Spiegel und ordnete voller Zufriedenheit ihr glattes
Haar. Ihre Stimmung hob sich wie immer beim Anblick ihrer schönen weißen Haut
und ihrer schrägen grünen Augen, und sie lächelte, um ihre reizenden Grübchen
zu erproben. Während sie so beglückt ihr Spiegelbild betrachtete, vergaß sie
alles andere und dachte nur noch daran, wie gern Ashley immer ihre Grübchen
gehabt hatte. Nichts trübte ihre Freude an dem eigenen jugendlichen Zauber und
der erneuten Gewißheit von Ashleys Liebe. Sie schloß die Tür auf und ging
leichten Herzens die halbdunkle gewundene Treppe hinunter, und nach wenigen
Stufen fing sie an, den Walzer vor sich hin zu trällern: »Wenn der grause Krieg
zu Ende.«
    Der Krieg
nahm, mit manchen Erfolgen, seinen Fortgang. Aber die Leute sagten nicht mehr:
»Noch ein Sieg, und der Krieg ist aus«, und sie sagten auch nicht mehr, daß die
Yankees Feiglinge seien. Es war allmählich allen klargeworden, daß die Yankees
alles andere

Weitere Kostenlose Bücher