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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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und wartete draußen vor dem Lazarett,
um sie nach Hause zu bringen. Allmählich schwand in ihr die Angst, er würde ihr
Geheimnis verraten. Aber nie kam in ihr die beunruhigende Erinnerung zum
Schweigen, daß er wußte, wie es in Wahrheit um ihr Herz stand. Dies lahmte ihr
die Zunge, wenn er sie ärgerte, und er ärgerte sie häufig.
    Er war
Mitte der Dreißiger, also älter als irgendein Verehrer, den sie bislang gehabt
hatte, und sie fühlte sich ihm gegenüber hilflos wie ein Kind und völlig
unfähig, mit ihm so umzuspringen, wie sie es mit den Verehrern, die ihr im
Alter näher standen, gewohnt war. Er wirkte so, als habe ihn im Leben noch
niemals etwas überrascht, vieles dagegen belustigt, und wenn er sie so weit
hatte, daß sie innerlich kochte, so schien er dies wie ein ergötzliches Schauspiel
zu genießen. Oft brach bei ihr der offene Zorn über die gerissenen Winkelzüge,
mit denen er sie quälte, hervor. Denn bei aller Sanftmut des Antlitzes, Ellens
täuschendem Erbteil, hatte sie Geralds leicht aufbrausendes irisches Blut in
den Adern. Bisher hatte sie sich nie Mühe gegeben, sich zu beherrschen, außer
in Ellens Gegenwart. Jetzt aber tat es weh, sich aus Angst vor seinem
spöttischen Grinsen beherrschen zu müssen. Wenn er doch nur ein einziges Mal
selber in Zorn hätte geraten wollen, dann wäre sie nicht mehr gar so sehr im
Nachteil gegen ihn gewesen!
    Nach all
diesen Wortgefechten, aus denen sie selten als Siegerin hervorging, schwor sie,
nichts mehr mit ihm zu tun haben zu wollen, weil er unmöglich, ungezogen und
kein Gentleman sei. Aber nach einiger Zeit kehrte er nach Atlanta zurück,
machte seinen Höflichkeitsbesuch bei Tante Pitty und überreichte Scarlett mit
übertriebener Liebenswürdigkeit eine Schachtel mit Konfekt, die er ihr aus
Nassau mitgebracht hatte. Hin und wieder belegte er bei einem Konzert einen
Platz neben ihr, oder er forderte sie zum Tanz auf, und seine sanfte
Unverschämtheit machte ihr meistens so viel Spaß, daß sie lachend über seine
verflossenen Missetaten hinwegsah, bis er die nächste beging.
    Trotz all
seiner höchst ärgerlichen Eigenschaften freute sie sich von Mal zu Mal mehr auf
seine Besuche. Er hatte etwas Aufregendes an sich, das sie sich nicht erklären
konnte und das ihn von allen Männern unterschied, die sie bisher kennengelernt
hatte. Die Anmut seines athletischen Körpers hatte etwas Atemberaubendes, so
daß schon sein Eintreten in ein Zimmer ihr etwas wie einen körperlichen Stoß
versetzte. Seine Frechheit und der unbeirrbare freundliche Spott in seinen
dunklen Augen forderte ihren heißen Wunsch heraus, ihn zu besiegen.
    »Es ist
fast, als wäre ich in ihn verliebt!« dachte sie erschrocken, »aber das bin ich
nicht, und ich begreife es einfach nicht.«
    Aber das
aufregende Gefühl wollte nicht weichen. Wenn er zu Besuch kam, nahm sich Tante
Pittys wohlausgestattetes vornehmes Heim neben seiner unbändigen Männlichkeit
klein, blaß, ja geradezu muffig aus. Scarlett war nicht das einzige Mitglied
des Haushaltes, das widerwillig in Kapitän Butlers Bann gezogen wurde. Auch
Tante Pitty hielt er in ständiger Gärung und Erregung.
    Pitty
wußte ganz genau, daß Ellen diese Besuche bei ihrer Tochter mißbilligen würde,
und ebenfalls, daß die Acht, die von der guten Gesellschaft Charlestons über ihn
verhängt war, nicht leichtfertig übersehen werden durfte. Aber seinen klugen
Höflichkeiten konnte sie sowenig widerstehen wie die Fliege dem Honigtopf.
Überdies brachte er ihr häufig ein kleines Geschenk aus Nassau mit, das er, wie
er ihr versicherte, eigens für sie gekauft und unter Lebensgefahr durch die
Blockade geschmuggelt hatte: Kärtchen mit Nähund Stecknadeln, Knöpfe, Spulen
mit Seide und Haarspangen. Diese kleinen Luxusartikel zu bekommen, war jetzt
fast unmöglich. Die Damen trugen handgeschnitzte Haarspangen aus Holz und
überzogen Eicheln mit Stoff, um sie als Knöpfe zu verwenden. Pitty hatte nicht
die Kraft, diese Geschenke auszuschlagen. Überdies hatte sie eine kindische
Freude an eingepackten Überraschungen und konnte der Versuchung niemals widerstehen,
sie auszuwickeln. War dies aber einmal geschehen, so hatte sie das Recht
verwirkt, das Geschenk noch zurückzuweisen. Alsdann aber brachte sie wiederum
den Mut nicht mehr auf, ihm zu sagen, daß es bei seinem schlechten Ruf
unschicklieh sei, drei alleinstehende Damen, die ohne männlichen Schutz lebten,
zu besuchen. Tante Pitty hatte immer das Gefühl, sie brauche einen

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