Margaret Mitchell
wohl einem von ihnen ähnliche Gedanken kommen, und ob sie wohl
wissen, daß sie für eine Sache kämpfen, die seit dem ersten Schuß schon
verloren ist? Denn unsere Sache ist die Lebensform, die uns eigen ist, und mit
der ist es schon vorbei. Aber ich glaube nicht, daß einem von ihnen solche
Gedanken kommen. Wohl ihnen! Das alles habe ich nicht bedacht, als ich Dich um
Deine Hand bat. Ich dachte, das Leben in Twelve Oaks müsse so schön und
glücklich unwandelbar weitergehen, wie es bisher gegangen ist. Wir sind
einander gleich, Melanie, wir haben dieselben stillen Dinge lieb, und ich sah
eine lange Strecke ruhiger Jahre vor uns, in denen wir lesen, Musik hören und
träumen dürften. Aber nicht dies sah ich voraus, dies nie im Leben! Ach, daß
uns all dies zustoßen mußte, dieser Zusammenbruch, dieses blutige Gemetzel, der
Haß! Nichts in der Welt wiegt das auf, weder die Rechte der Staaten, noch die
Sklaven, noch die Baumwolle. Nichts wiegt das auf, was uns jetzt widerfährt und
immer weiter widerfahren wird. Denn wenn die Yankees uns schlagen, so ist die
Zukunft voll unerhörten Grauens, und, meine Liebe, es kann sehr wohl geschehen,
daß sie uns schlagen.
Ich weiß
wohl, ich sollte das nicht schreiben und nicht einmal denken. Aber Du fragst,
was mir auf der Seele liegt, und es ist nichts anderes als die Furcht vor der
Niederlage. Entsinnst Du Dich noch des Gartenfestes an dem Tage unserer
Verlobung? Entsinnst Du Dich jenes Mannes, namens Butler aus Charleston, der
durch seine Bemerkungen über die Ahnungslosigkeit der Südstaatler fast einen
Streit hervorrief, und wie die Zwillinge ihn niederknallen wollten, weil er
sagte, wir hätten keine Gießereien und Fabriken, keine Spinnereien und Schiffe,
keine Waffenlager und Maschinenwerkstätten? Entsinnst Du Dich seiner Worte, die
Flotte der Yankees könne uns so fest abriegeln, daß wir unsere Baumwolle nicht
mehr verschiffen könnten? Er hatte recht. Wir kämpfen gegen die modernen
Gewehre der Yankees mit Musketen aus dem Revolutionskrieg, und bald werden
nicht einmal mehr Arzneien durch die Blockade gelangen. Wir hätten mehr auf
solche Zyniker wie Butler hören sollen, die etwas wußten, anstatt auf unsere
Staatsmänner, die nur fühlten und redeten. Seine Worte liefen darauf hinaus,
daß der Süden einen Krieg führe und nichts weiter besäße als seine Baumwolle
und seinen Hochmut. Unsere Baumwolle aber ist wertlos, und nur, was er unsern
Hochmut nannte, ist uns geblieben. Ich aber nenne diesen Hochmut
unvergleichlichen Mut.«
Scarlett
las den Brief nicht zu Ende, sondern faltete ihn sorgsam zusammen und legte ihn
in den Umschlag zurück. Er war ihr gar zu langweilig, und all das Gerede von
Unglück und Niederlage war ihr zu traurig. Schließlich las sie doch nicht
Ashleys Zeilen, um seine Hirngespinste und Grübeleien mitzumachen. Von ihnen
hatte sie genug gehört, als er noch in Tara auf der Veranda gesessen hatte. Sie
wollte nur wissen, ob er die Glut der Leidenschaft für seine Frau empfand. Bis
jetzt schrieb er nichts davon. Bis jetzt hatte sie nichts gelesen, was nicht
auch ein Bruder seiner Schwester hätte schreiben können. Liebevolle, ernste
oder humoristische Briefe waren es, zuweilen im Ton belehrender Abhandlung
gehalten. Aber Liebesbriefe waren es nicht. Scarlett hatte selbst schon zu
viele glühende Liebesbriefe bekommen, als daß sie nicht den echten Ton der
Leidenschaft hätte erkennen sollen. Hier fehlte er. Wie immer überkam sie auch
dieses Mal ein Gefühl der Genugtuung. Sie war überzeugt, daß Ashley sie noch
liebte. Sie fragte sich, wie denn Melanie immer noch nicht einsehen wolle, daß
Ashley nur Freundschaft für sie hege. Aber Melanie vermißte offenbar nichts in
diesen Briefen, hatte sie doch nie im Leben von einem anderen Manne
Liebesbriefe erhalten, mit denen sie Ashleys hätte vergleichen können. Scarlett
entsann sich mancher schöner Schilderung von Landschaften, Gefechten und
Biwaks, wie Darcy Meade seinen Eltern oder Dallas McLure seinen
altjüngferlichen Schwestern schrieb, und die mit Stolz in der Nachbarschaft
überall herumgeschickt wurden. Scarlett hatte sich oft insgeheim geschämt, daß
Melanie keine solchen Briefe von Ashley bekam, die sie in den Nähzirkeln zum
besten geben konnte. Manchmal schrieb Ashley so, als ob er den Krieg ganz und
gar vergessen habe, er schrieb von Büchern, die er mit Melanie gelesen hatte,
von gemeinschaftlich gesungenen Liedern, von alten Freunden oder von Orten, die
er kennengelernt
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