Margaret Mitchell
Tanztees,
Spazierfahrten und kalte Büfetts am Sonntagabend. Da wollte sie nach Kräften
mittun, umgeben von einem Schwärm von Männern. Die Männer waren immer sogleich
verliebt, wenn man ihnen nur im Lazarett einen kleinen Dienst tat. Auch das
Lazarett war nun nicht mehr so schlimm. Nach einer Krankheit waren die Männer
alle so lenkbar und zugänglich und fielen einem geschickten Mädchen in die
Hand, wie auf Tara die reifen Pfirsiche, wenn man den Baum nur ganz sacht
schüttelte.
Sie kehrte
mit dem Labetrunk zu ihrem Vater zurück und dankte Gott, daß der berühmte
O'Harasche Irenschädel der Schlacht von gestern abend doch nicht gewachsen
gewesen war. Ob wohl Rhett Butler da seine Hand im Spiel hatte?
11
An einem
Nachmittag der folgenden Woche kam Scarlett müde und gereizt aus dem Lazarett
nach Hause. Müde, weil sie den ganzen Morgen auf den Beinen gewesen war, und
gereizt, weil Mrs. Merriwether ihr einen harten Verweis erteilt hatte, daß sie
sich zu einem Soldaten aufs Bett gesetzt hatte, um ihm den Arm zu verbinden.
Tante Pittypat und Melanie standen in ihren schönsten Hüten mit Wade und Prissy
vor der Tür und wollten gerade die übliche Besuchsrunde machen. Scarlett bat um
Entschuldigung, daß sie sie nicht begleiten könnte, und ging in ihr Zimmer
hinauf.
Als das
Räderrollen verklungen war und sie die Familie in sicherer Entfernung wußte,
schlüpfte sie leise in Melanies Zimmer und schloß hinter sich ab. Das saubere,
jungfräuliche kleine Stübchen lag still und warm in den schrägen Strahlen der
Nachmittagssonne. Bis auf ein paar kleine bunte Flickenteppiche lag der
Fußboden unbedeckt und glänzend da. An den weißen Wänden war keinerlei Zierde;
nur eine Ecke hatte Melanie wie eine Art Altar hergerichtet. Hier hing unter
einer drapierten Konföderationsfahne der Degen, den Melanies Vater im
mexikanischen Kriege getragen hatte, derselbe, den Charles mit ins Feld
genommen hatte. Daneben hingen Charles' Schärpe und Pistolengürtel mit dem
Revolver im Halfter. Zwischen Degen und Pistole war eine Daguerreotypie von
Charles selbst aufgehängt. Er sah sehr steif und stolz in seiner grauen Uniform
aus. Seine großen braunen Augen leuchteten aus dem Rahmen hervor, und ein
scheues Lächeln lag auf seinen Lippen.
Scarlett
gönnte diesem Bild nicht einen einzigen Blick, sondern schritt quer durch das
Zimmer auf den kleinen viereckigen Kasten aus Rosenholz zu, der auf dem Tisch
neben dem schmalen Bett stand. Hier zog sie ein Päckchen Briefe hervor, die mit
einem blauen Band zusammengebunden waren. Sie waren von Ashleys Hand an Melanie
gerichtet. Zuoberst lag der Brief, der an diesem Morgen gekommen war. Scarlett
öffnete ihn.
Als sie
zuerst damit begonnen hatte, diese Briefe heimlich zu lesen, hatte sie solche
Gewissensbisse und solche Angst vor der Entdeckung verspürt, daß sie mit ihren
zitternden Händen kaum die Umschläge hatte öffnen können. Allmählich aber war
ihr Ehrgefühl durch die Gewohnheit abgestumpft worden. Sogar die Angst vor der
Entdeckung hatte sich gelegt. Hin und wieder verspürte sie wohl noch einen
Stich in der Brust bei dem Gedanken, was ihre Mutter dazu sagen würde. Sie
wußte, daß Ellen sie lieber tot als solcher Unehrenhaftigkeit schuldig sehen
würde. Das beunruhigte sie sehr, denn immer noch wollte Scarlett gern in allen
Stücken ihrer Mutter gleichen. Aber die Versuchung war zu stark. Sie hatte es
überhaupt in dieser Zeit gelernt, sich unerfreuliche Gedanken aus dem Sinn zu
schlagen und die Selbstbesinnung auf den nächsten Tag zu verschieben. Wenn dann
der nächste Tag da war, so hatte die Schärfe des Konflikts sich schon ein wenig
gemildert, und so machte sie sich auch aus ihrer Gewohnheit, Ashleys Briefe zu
öffnen, keine Gewissensbisse mehr.
Melanie
war mit ihren Briefen sehr freigebig und las häufig Stellen daraus Tante Pitty
und Scarlett vor. Aber gerade das, was sie nicht las, quälte Scarlett auf das
unerträglichste. Sie mußte wissen, ob Ashley seine Frau seit der Heirat
wirklich lieben gelernt hatte oder ob er nur vorgab, sie zu lieben. Schrieb er
ihr Zärtlichkeiten? Was für Gefühle drückte er aus und mit wieviel Wärme?
Sorgsam
glättete sie das Papier. Da lag Ashleys kleine ebenmäßige Handschrift vor ihr,
und sie las: »Meine liebe Frau!« Erleichtert atmete sie auf. Noch immer nannte
er Melanie nicht mit einem Kosenamen.
»Meine
liebe Frau, Du schreibst mir, Du seist in Unruhe, ob ich nicht meine wahren
Gedanken vor Dir verberge,
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