Margaret Mitchell
Anlaß gäbe. Aber es war ihr
alles wieder entschwunden. Melanie mußte wohl den Verstand verloren haben.
»Ashley
schrieb mir«, fuhr Melanie schnell fort, »wir sollten lieber nicht gegen die
Yankees kämpfen, wir seien durch Staatsmänner und Redner mit Schlagworten und
Vorurteilen dazu verleitet worden. Er sagt, nichts auf der Welt könne das
wiedergutmachen, was der Krieg uns noch antun würde. Er sagt auch, es sei
überhaupt nichts Ruhmreiches daran, nichts als Schmutz und Elend.«
»Ach, der
Brief war es«, dachte Scarlett, »das also wollte er damit sagen?«
»Das kann
ich nicht glauben«, erwiderte Mrs. Merriwether mit unerschütterlichem Ton. »Du
hast ihn mißverstanden.«
»Ich
mißverstehe Ashley nie«, antwortete Melanie ruhig, wenn auch mit bebenden
Lippen. »Ich verstehe ihn ganz und gar. Er meint dasselbe wie Kapitän Butler
und sagt es nur nicht in so unverschämtem Ton.«
»Du
solltest dich schämen, einen anständigen Menschen wie Wilkes mit einem Schurken
wie Kapitän Butler zu vergleichen. Auch du hältst also von unserer großen Sache
nichts!«
»Ich ...
ich weiß nicht, was ich denken soll«, begann Melly unsicher. Ihre feurige
Aufwallung hatte sie verlassen, und nun erschrak sie über ihren eigenen
Freimut. »Ich würde für unsere Sache sterben. Ashley auch, aber ... ich meine
... ich will lieber den Männern das Denken überlassen, weil sie so viel
gescheiter sind.«
»So etwas
habe ich noch nie gehört«, schnob Mrs. Merriwether. »Halt, Onkel Peter, du
fährst ja an meinem Hause vorbei!«
Onkel
Peter hatte so scharf auf die Unterhaltung hinter seinem Rücken achtgegeben,
daß er am Merriwetherschen Prellstein vorbeigefahren war, nun riß er das Pferd
zurück. Die alte Dame stieg aus, und ihre Haubenbänder flatterten wie Segel im
Sturm.
»Das wirst
du noch bereuen!« sagte sie. Onkel Peter gab dem Pferd die Peitsche. »Ihr
jungen Fräuleins sollt euch schämen, Miß Pitty in Zustände zu bringen«, schalt
er.
»Ich bin
gar nicht in Zuständen«, erwiderte Pitty erstaunlicherweise, denn gewöhnlich
wurde sie schon bei viel geringeren Aufregungen ohnmächtig. »Melly, Liebling,
ich weiß, das hast du nur gesagt, um für mich einzutreten. Ich habe mich
wirklich gefreut, daß Dolly die Antwort bekam. Sie ist zu herrschsüchtig. Aber
woher nahmst du nur den Mut? Hättest du das über Ashley auch sagen dürfen?«
»Es ist
aber wirklich wahr«, antwortete Melanie und begann leise zu weinen. »Ich schäme
mich nicht, daß er so denkt. Er hält den Krieg für verkehrt, und trotzdem ist
er bereit, zu kämpfen und zu sterben. Dazu gehört eine Unmenge mehr Mut, als
für etwas kämpfen, was man für richtig hält.«
»Herrje,
Miß Melly, weinen Sie doch nicht hier auf der Pfirsichstraße«, tadelte Onkel
Peter und trieb das Pferd an. »Die Leute werden schrecklich darüber klatschen.
Warten Sie doch, bis wir zu Hause sind.«
Scarlett
sagte nichts. Sie drückte nicht einmal die Hand, die Melanie trostbedürftig in
die ihre geschoben hatte. Sie hatte nur zu einem Zweck Ashleys Briefe gelesen -
um Gewißheit zu bekommen, ob er sie noch liebte. Nun hatte Melanie vielen
Stellen, die Scarlett nur mit den Augen gelesen hatte, einen neuen Sinn
gegeben. Sie war bestürzt, daß jemand, der so makellos vollkommen war wie
Ashley, mit einem so verdorbenen Menschen wie Rhett Butler einen Gedanken
gemeinsam haben konnte. Sie dachte: »Beide sehen sie die Wahrheit über diesen
Krieg, aber Ashley ist bereit, dafür zu sterben. Rhett nicht. Und ich finde,
daran erkennt man Rhetts gesunden Menschenverstand.« Sie hielt einen Augenblick
inne, erschrocken, daß sie so etwas über Ashley hatte denken können. »Beide
sehen sie die gleiche schreckliche Wahrheit, und Rhett hat seine Freude daran,
sie zu erkennen und die Leute damit rasend zu machen - Ashley aber erträgt
diese Erkenntnis kaum.«
Was sollte
sie nur davon denken?
13
Auf
Betreiben von Mrs. Merriwether griff Dr. Meade in der Form eines
Zeitungsartikels in die Angelegenheit ein. Er nannte Rhett Butler zwar nicht
beim Namen, ließ aber keinen Zweifel darüber, wer gemeint sei. Der Redakteur
witterte die gesellschaftliche Sensation, die sich hinter dem Artikel verbarg,
und setzte ihn auf die zweite Seite der Zeitung, was eine auffällige Neuerung
war, da die beiden ersten Seiten sonst ausschließlich für Anzeigen von Sklaven,
Maultieren, Pflügen, Särgen und Häusern sowie von Kuren für diskrete
Krankheiten oder Abtreibungsmitteln
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