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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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geblieben war, fiel der
böse Schlag. Melanie teilte ihr freudestrahlend und verschämt gesenkten Kopfes
mit, daß sie ein Kind bekommen würde.
    »Dr. Meade
sagte, Ende August oder im September«, berichtete sie. »Oh, Scarlett, ist es
nicht wunderbar? Ich habe dich so um Wade beneidet und mich nach einem Kinde
gesehnt. Ich hatte solche Angst, ich bekäme vielleicht nie eins. Ach, ein
Dutzend möchte ich haben!«
    Scarlett
war gerade beim Kämmen ihres Haares vor dem Schlafengehen, als Melanie anfing
zu sprechen, und hielt mit dem Kamm auf halbem Wege inne. Einen Augenblick
begriff sie es nicht. Dann stand jählings die verschlossene Tür von Melanies Schlafzimmer
vor ihrer Seele, und ein so grimmiger Schmerz durchfuhr ihre Brust, als wäre
Ashley ihr Mann und wäre ihr untreu geworden. Melanie ein Kind! Wo er doch sie
liebte und nicht Melanie!
    »Ich weiß,
du bist überrascht«, plapperte Melanie atemlos weiter. »Aber ist es nicht
herrlich? Ach, Scarlett, ich weiß nicht, wie ich es Ashley schreiben soll. Es
wäre weniger peinlich, wenn ich es ihm sagen dürfte oder ... wenn ich gar
nichts sagte und ihn selber allmählich dahinterkommen ließe.«
    »Du lieber
Gott!« Scarlett schluchzte fast, als sie den Kamm hinlegte und sich auf die
Marmorplatte des Frisiertisches stützte.
    »Liebe,
mach nicht solch ein Gesicht! Du weißt, es ist gar nicht schlimm, ein Kind zu
bekommen, du hast es selbst gesagt, Du darfst dich nicht so um mich ängstigen.
Freilich sagte Dr. Meade, ich sei ...«, Melanie errötete, »recht schmal, aber
darum könnte doch alles ganz gut gehen ... Sag, Scarlett, hast du damals an
Charlie geschrieben, oder tat es deine Mutter oder vielleicht Mr. O'Hara? Ach,
hätte ich nur auch eine Mutter, die es für mich tun könnte!«
    »Sei
still«, fuhr Scarlett sie an, »sei still!«
    »Ach,
Scarlett, ich bin so dumm, wie selbstsüchtig ist man im Glück! Ich vergaß
wieder, daß Charlie ... «
    »Still!«
sagte Scarlett noch einmal und rang danach, Gesicht und Herz zu besänftigen.
Niemals durfte Melanie sehen oder ahnen, was in ihr vorging.
    Melanie
aber, diese zartfühlendste aller Frauen, hatte über ihre eigene Grausamkeit
Tränen in den Augen. Wie konnte sie nur wieder Scarlett an das Schreckliche
erinnern, daß Wade erst nach dem Tode des armen Charlie geboren war!
    »Darf ich
dir beim Ausziehen helfen, Liebste?« bat sie demütig.
    »Laß mich
in Ruhe«, entgegnete Scarlett mit steinernem Gesicht, und Melanie brach vor
Entsetzen über sich selbst fassungslos in Tränen aus. Sie floh aus dem Zimmer,
und Scarlett blieb ihrem tränenlosen Bett, ihrem verwundeten Stolz, dem
Trümmerfeld ihrer Träume überlassen.
    Sie konnte
nicht länger mit der Frau, die Ashleys Kind trug, unter einem Dache leben. Nach
Hause wollte sie, wohin sie gehörte. Wie konnte sie Melanie je wieder ansehen,
ohne ihr Geheimnis in ihrem Gesichte ganz offenbar werden zu lassen! Am
nächsten Morgen stand sie mit der festen Absicht auf, sogleich nach dem
Frühstück den Koffer zu packen. Als sie aber bei Tisch saßen, Scarlett still
und düster, Pittypat ratlos und Melanie unglücklich, kam ein Telegramm. Es war
von Ashleys Burschen Moses an Melanie und lautete:
    »Habe
überall ausgeschaut und ihn nicht gefunden. Soll ich nach Hause kommen?«
    Keiner
verstand, was das heißen sollte, aber die drei Frauen sahen einander mit
großen, erschrockenen Augen an. Scarlett dachte nicht mehr daran, den Koffer zu
packen. Ohne ihr Frühstück zu beenden, fuhren sie in die Stadt, um an Ashleys
Obersten zu telegraphieren. Als sie aber an die Post kamen, lag dort schon eine
Depesche von ihm vor.
    »Bedauere,
mitteilen zu müssen, Major Wilkes seit drei Tagen auf Patrouille vermißt. Gebe
weitere Nachricht.«
    Die Fahrt
nach Hause war grauenhaft. Tante Pitty weinte ununterbrochen in ihr
Taschentuch. Melanie saß bleich und aufrecht da, Scarlett war halb betäubt in
die Wagenecke gesunken. Als sie heimkamen, stolperte Scarlett die Treppe hinauf
in ihr Schlafzimmer, ergriff ihren Rosenkranz, fiel auf die Knie und versuchte
zu beten. Aber ihr kam kein Gebet. Nur die bodenlose Furcht fiel sie an, Gott
habe um ihrer Sünde willen sein Angesicht von ihr abgewandt. Sie hatte einen
verheirateten Mann geliebt und versucht, ihn seiner Frau wegzunehmen. Zur
Strafe hatte Gott ihm das Leben genommen. Sie wollte beten, aber sie konnte
ihre Augen nicht zum Himmel erheben. Sie wollte weinen, aber ihr kam keine
Träne. Ihr war, als fülle eine Flut heißer,

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