Margaret Mitchell
brennender Tränen ihre Brust, aber
fließen wollten sie nicht.
Die Tür
öffnete sich, und Melanie trat herein. Umrahmt von ihrem schwarzen Haar sah ihr
Gesicht aus wie ein aus weißem Papier ausgeschnittenes Herz. Ihre Augen waren
weit geöffnet wie die eines verängstigten Kindes, das sich im Dunkeln verirrt
hat.
»Scarlett«,
sagte sie und streckte ihr die Hände entgegen. »Verzeih mir, was ich gestern
sagte. Du bist jetzt alles, was ich habe. Ach, Scarlett, ich weiß es gewiß,
mein Ashley ist tot.«
Sie lag in
Scarletts Armen, ihre schmale Brust hob und senkte sich im Schluchzen, und dann
fanden sie sich plötzlich zusammen auf dem Bett und hielten einander eng
umschlungen. Scarlett weinte auch, ihr Gesicht lag fest an Melanie gedrückt,
die Tränen der einen benetzten die Wange der anderen. Das Weinen tat auch weh,
aber doch nicht so weh wie der tränenlose Schmerz. Ashley ist tot, und ich habe
ihn mit meiner Liebe ums Leben gebracht! Von neuem brach sie in Schluchzen aus,
während Melanie, die in ihren Tränen Trost fand, die Arme fest um ihren Hals
schloß.
»Wenigstens«,
flüsterte sie, »habe ich sein Kind.«
»Und ich«,
dachte Scarlett allzutief getroffen, um noch Eifersucht zu fühlen, »ich habe
nichts, nichts, nichts, nur den Blick seiner Augen, mit dem er mir Lebewohl
sagte.«
Die ersten
Berichte lauteten: »Vermißt, wahrscheinlich gefallen.« So stand es auch in der
Verlustliste zu lesen. Melanie telegraphierte dem Obersten Sloan wohl ein
Dutzend Mal. Endlich kam ein teilnahmsvoller Brief, in dem sie las, daß Ashley
mit einem Trupp auf Patrouille geritten und nicht zurückgekehrt war. Man hatte
von einem leichten Scharmützel hinter den Linien der Yankees gehört, Moses
hatte in seiner Verzweiflung das eigene Leben aufs Spiel gesetzt, um Ashleys
Leichnam zu finden, aber umsonst. Melanie war jetzt merkwürdig ruhig. Sie
schickte Moses Geld und ließ ihn nach Hause kommen.
Als dann
die Worte »Vermißt, wahrscheinlich gefangen« in den Verlustlisten standen,
gaben Freude und Hoffnung den schmerzerfüllten Seelen neues Leben. Melanie
konnte kaum noch vom Telegraphenbüro wegfinden und eilte an jeden Zug, um
womöglich einen Brief abzufangen. Es ging ihr nicht gut, denn ihre
Schwangerschaft machte sich auf das unangenehmste fühlbar. Aber sie weigerte
sich, dem Doktor zu gehorchen und im Bett zu bleiben. Fieberhafte Erregung
erfüllte sie und raubte ihr die Ruhe. Wenn Scarlett längst zu Bett war, hörte
sie Melanie nebenan nächtelang auf und ab gehen.
Eines
Tages kam Melanie mit dem verängstigten Onkel Peter auf dem Bock aus der Stadt
zurückgefahren, Rhett Butler neben sich, der sie stützte. Sie war im
Telegraphenbüro ohnmächtig geworden. Rhett war gerade vorbeigekommen und hatte
sie dann nach Hause gebracht. Er trug sie die Treppe hinauf in ihr
Schlafzimmer, und während der aufgeschreckte Haushalt nach heißen Ziegelsteinen,
Decken und Whisky umherlief, legte er ihr im Bett die Kissen zurecht.
»Mrs.
Wilkes«, fragte er schroff, »Sie bekommen ein Kind, nicht wahr?«
Wäre
Melanie nicht so schwach und elend und nicht so todwund im Herzen gewesen, die
Frage hätte sie aus der Fassung gebracht. Sogar unter ihren Freundinnen setzte
jede Erwähnung ihres Zustandes sie in Verlegenheit, und die Besuche bei Dr.
Meade waren ihr eine Qual. Daß ein Mann und nun gar Rhett Butler solche Frage
stellte, war einfach unvorstellbar. Aber schwach und hilflos, wie sie dalag,
konnte sie nur nicken, und als sie genickt hatte, war es ihr nicht einmal mehr
schrecklich, so gütig und besorgt sah er sie an.
»Dann
müssen Sie sich aber viel mehr schonen«, sagte er. »All diese unruhige Lauferei
hilft Ihnen nichts, aber sie schadet dem Kinde. Wenn Sie mir erlauben, Mrs.
Wilkes, will ich alles aufbieten, was ich an Beziehungen in Washington habe, um
zu erfahren, was aus Mr. Wilkes geworden ist. Wenn er gefangen ist, so steht er
auf der Bundesliste, und wenn er es nicht ist ... Nun ja, es gibt nichts
Schlimmeres als Ungewißheit. Aber dafür muß ich Ihr Versprechen haben. Schonen
Sie sich, oder, bei Gott, ich rühre keine Hand.«
»Ach, Sie
sind so gut«, flüsterte Melanie, »wie können die Leute nur so Schreckliches
über Sie erzählen!« Dann ward sie sich ihrer Taktlosigkeit bewußt, und zugleich
überlief es sie kalt, daß sie mit einem Manne über ihren Zustand gesprochen
hatte, und sie weinte widerstandslos. So kam es, daß Scarlett, die mit einem
heißen, in Flanell gewickelten Ziegelstein
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