Margaret Mitchell
1864, ein heißer, trockener Mai, der die Blüte in den Knospen verdorren
ließ, und die Yankees unter General Sherman standen wieder in Georgia. Dieses
Mal oberhalb Daltons, hundert Meilen nordwestlich von Atlanta. Das Gerücht
wollte wissen, daß es dort oben an der Grenze zwischen Georgia und Tennessee zu
schweren Kämpfen kommen würde. Die Yankees zogen ihre Truppen zusammen zu einem
Angriff auf die Eisenbahnlinie, die Atlanta mit dem Westen verband, dieselbe,
über die die konföderierten Truppen im vorigen Herbst nach Chickamauga geworfen
worden waren, wo sie ihren stolzen Sieg errungen hatten.
Doch
Atlanta ließ sich durch die bevorstehenden Kämpfe bei Dalton nicht aus der Ruhe
bringen. Die Gegend, wo die Yankees sich zusammenzogen, lag in unmittelbarer
Nähe des Schlachtfeldes von Chickamauga. Sie waren schon einmal
zurückgeschlagen worden, als sie über die Gebirgspässe hereinzubrechen versucht
hatten, und auch dieses Mal würde es ihnen nicht besser ergehen. Ganz Georgia
wußte, daß dieser Staat eine viel zu große Bedeutung für die Konföderierten
hatte, als daß General Johnston die Yankees lange innerhalb seiner Grenzen
dulden konnte. Der alte Joe ließ sicher keinen einzigen Gegner über Dalton
hinaus nach Süden gelangen. Allzuviel hing davon ab, daß in Georgia das Leben
ungestört seinen Gang ging. Georgia war bisher noch nicht vom Feinde
heimgesucht worden und bildete daher die Kornkammer, die Maschinenwerkstätte
und das ganze Warenlager der Konföderierten. Ein großer Teil des Pulvers und
der Waffen, die das Heer gebrauchte, und die meisten Baumwollund Wollwaren
wurden hier hergestellt. Zwischen Atlanta und Dalton lag die Stadt Rome mit
ihren Kanonengießereien und ihren sonstigen Industrien. Ferner Etowah und
Allatoona mit den größten Eisenwerken südlich von Richmond. In Atlanta selber
lagen schließlich die umfangreichsten Walzwerke des Südens, die Depots der
Eisenbahnen und die riesigen Lazarette. Und Atlanta war der Knotenpunkt aller
vier Eisenbahnlinien, von denen das ganze Leben in den Südstaaten überhaupt
abhing.
Darum
machte sich niemand besondere Sorgen. Schließlich lag Dalton weit entfernt,
nahe der Grenze von Tennessee. Dort hatte man seit drei Jahren gekämpft, und
Atlanta war gewohnt den Kriegsschauplatz als eine entlegene Gegend zu
betrachten, die fast so fern lag wie Virginia und der Mississippi. Dazu kam,
daß der alte Joe dort stand, und seit Stonewall Jacksons Tode hatte es nächst
General Lee keinen größeren Kriegsmann als ihn gegeben.
An einem
warmen Maiabend faßte Dr. Meade auf Tante Pittys Veranda die Auffassung der
Zivilisten von der Sachlage mit den Worten zusammen: »Atlanta hat nichts zu
befürchten, General Johnston steht im Gebirge wie eine Wehr von Eisen.« Seine
Zuhörer lauschten mit gemischten Gefühlen. Alle, die dort im erblassenden
Zwielicht auf ihren Schaukelstühlen saßen und zusahen, wie die ersten
Glühwürmer des Jahres durch die Dämmerung schwebten, hatten schwere Sorgen im
Herzen. Mrs. Meade hatte die Hand auf Phils Arm liegen und hoffte, ihr Mann
behielte recht. Wenn der Krieg sich der Stadt näherte, dann würde Phil mit
müssen. Er war jetzt sechzehn Jahre alt und in der Landwehr. Fanny Elsing, seit
Gettysburg blaß und hohläugig, suchte sich das qualvolle Bild, das ihr während
der letzten Monate den müden Kopf zermürbt hatte, aus dem Sinn zu schlagen,
Leutnant Dallas McLure sterbend in einem rüttelnden Ochsenwagen auf dem langen
verregneten Rückzug nach Maryland.
Hauptmann
Carey Ashburns steifer Arm schmerzte ihn wieder, und außerdem bedrückte es ihn,
daß er mit seiner Werbung bei Scarlett nicht weiterkam. Seit der Nachricht von
der Gefangennahme Ashley Wilkes' war alles geblieben, wie es war, obwohl ihm
der Zusammenhang zwischen den beiden Ereignissen nicht klar werden wollte.
Scarlett und Melanie dachten beide an Ashley. Scarlett sagte sich in bitterem
Kummer: »Er muß tot sein, sonst hätten wir irgend etwas gehört.« Melanie
drängte die qualvolle Furcht immer von neuem zurück und sagte sich: »Er kann
nicht tot sein, denn ich würde es spüren, wenn er tot wäre.« Rhett Butler lag
etwas abseits auf seinem Stuhl, die langen Beine mit den eleganten Stiefeln
bequem übereinandergeschlagen; sein dunkles Gesicht war nicht zu entziffern. In
seinem Arm schlief friedlich Wade, einen sauber abgenagten Wunschknochen in der
kleinen Hand. Scarlett erlaubte Wade stets, länger aufzubleiben, wenn Rhett
Butler zu Besuch war,
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