Margaret Mitchell
dorthin zu
befördern. Gerald war aus einem reichen Mann zu einem Manne geworden, der sich
überlegte, wie er seine Familie und seine Neger durch den Winter bringen
sollte. Und überall waren die meisten Baumwollpflanzer in derselben traurigen
Lage. Als die Blockade sich immer fester schloß, gab es kein Mittel mehr, die
Ernte zu verwerten. Der Krieg mit dem industriellen Norden erheischte
Unzähliges, das zu beschaffen man in Friedenszeiten nie bedacht hatte. Für
gewissenlose Spekulanten war die Lage wie eigens für sie geschaffen, und es
fehlte an ihnen nicht. Als Not und Teuerung immer weiter fortschritten, wurde
die allgemeine Wut gegen die Spekulanten immer lauter. Anfang 1864 konnte man
keine Zeitung aufschlagen, ohne erbitterte Leitartikel zu lesen, die die
Regierung aufforderten, die Blutsauger mit drakonischen Maßnahmen zu bekämpfen.
Die Regierung tat ihr Bestes, aber ihre Bemühungen verliefen im Sande. Die
Aufgabe schien unlösbar. Gegen niemand war die Verbitterung stärker als gegen
Rhett Butler. Er hatte seine Schiffe verkauft, als die Blockadeseefahrt zu
gefährlich wurde, und betrieb nun ganz öffentlich Spekulationshandel in
Nahrungsmitteln. Bei den Geschichten über ihn, die aus Richmond und Wilmington
nach Atlanta kamen, wollten diejenigen, die ihn früher empfangen hatten, vor
Scham vergehen.
Trotz
aller Prüfungen und Heimsuchungen hatte sich Atlantas zehntausendköpfige
Bevölkerung während des Krieges verdoppelt, sogar die Blockade hatte Atlantas
Ansehen erhöht. Zu allen Zeiten hatten die Küstenstädte den Süden
wirtschaftlich und in mancher anderen Beziehung beherrscht. Aber seitdem die
Häfen geschlossen und viele Hafenstädte erobert oder belagert waren, hing das
Heil der Südstaaten von ihrem Binnenland ab. Auf dieses kam es an, wenn der
Krieg weitergeführt werden sollte, und Atlanta lag jetzt im Mittelpunkt allen
Geschehens. Die Städter hatten an Mühsal, Entbehrungen, Krankheit und Tod
ebenso unbarmherzig zu leiden wie das übrige Gebiet der Konföderierten Staaten,
aber als Stadt hatte Atlanta im Kriege mehr gewonnen als verloren. Sein Herz
schlug noch warm und kräftig, und durch die Eisenbahnen, seine Arterien, pulste
der endlose Strom von Mannschaften, Munition und Kriegsbedarf.
Zu anderen
Zeiten hätte Scarlett sich bitterlich über ihre abgetragenen Kleider und
geflickten Schuhe beklagt, jetzt aber lag ihr nichts mehr daran. Der einzige,
auf den es ankam, war ja nicht da und sah es nicht. In diesen zwei Monaten
fühlte sie sich glücklicher als seit Jahren. Hatte sie nicht gefühlt, wie
Ashleys Herz erschrak, als ihr Arm sich um seinen Hals schlang, hatte sie nicht
in sein verzweifeltes Gesicht geblickt, das ein beredteres Geständnis ablegte
als alle Worte? Er liebte sie. Dessen war sie jetzt gewiß, und die Gewißheit
war so beglückend, daß sie sogar gegen Melanie freundlicher sein konnte. Jetzt
tat Melanie ihr zuweilen leid, und es mischte sich fast eine leise Verachtung
für das arme, dumme, blinde Ding hinein.
»Wenn der
Krieg vorüber ist ... « Nur selten dachte sie beklommenen Herzens: »Was dann?«
Alles würde sich schon zum Guten wenden, denn Ashley liebte sie ja. Mit Melanie
würde er einfach nicht weiterleben können. Freilich würde an eine Scheidung
nicht zu denken sein. Ellen und Gerald konnten ihr als strenge Katholiken
niemals erlauben, einen geschiedenen Mann zu heiraten. Das hätte bedeutet, von
der Kirche verstoßen zu werden! Scarlett dachte darüber nach, und für den Fall,
daß sie zwischen Ashley und der Kirche zu wählen hätte, würde sie sich für
Ashley entscheiden. Aber ach, welch einen Skandal gäbe das! Geschiedene Leute
standen nicht nur im Bann der Kirche, sondern wurden auch von der Gesellschaft
geächtet. Sie wurden nirgends empfangen. Doch auch das wollte sie für Ashley
auf sich nehmen. Alles, alles wollte sie für ihn opfern.
Mit jedem
Tag, der verging, wurde sie der Liebe und Ergebenheit Ashleys gewisser, wurde
sie fester davon überzeugt, daß er alles zur Zufriedenheit regeln würde, sobald
nur die Yankees endgültig besiegt waren.
Freilich
hatte er gesagt, die Yankees »hätten« sie. Aber war das ernst zu nehmen?
Er war
müde und aufgeregt gewesen, als er es gesagt hatte. Ihr selbst lag kaum noch
etwas daran, ob die Yankees siegten oder nicht. Worauf es einzig und allein
ankam, war das rasche Ende des Krieges und Ashleys Heimkehr in ihre Arme.
Da, als an
einem Märztage voll Schnee und Regen jedermann zu Hause
Weitere Kostenlose Bücher