Margaret Mitchell
die Treppe herauf gejagt kam, Rhett
Butler an Melanies Bett fand, während er ihr die Hand streichelte.
Er hielt
Wort. Sie erfuhren nie, welche Drähte er eigentlich zog, und scheuten sich,
danach zu fragen, damit die Art seiner Verbindung zu den Yankees nicht zur
Sprache käme. Es dauerte einen Monat, bis er Nachricht hatte, und es war eine
Nachricht, die sie zuerst mit seligem Glück erfüllte und später zur nagenden
Herzensangst wurde.
Ashley war
nicht tot. Er war verwundet und gefangengenommen worden, und aus dem Bericht
ergab sich, daß er sich in Rock Island, dem Gefangenenlager in Illinois,
befand. In ihrer ersten Freude dachten sie an nichts anders als daran, daß er
lebte. Aber als ihre Gemüter sich wieder beruhigt hatten, sahen sie einander an
und sprachen das Wort »Rock Island« in demselben Tone aus wie nur das Wort
Hölle. Wie im Norden die Nennung des Lagers Andersonville, so erregte Rock
Island Entsetzen im Herzen jedes Südstaatlers, der dort Verwandte in
Gefangenschaft wußte.
Als
Lincoln sich weigerte, die Gefangenen auszutauschen, weil dies nach seiner
Meinung den Krieg nur weiter in die Länge ziehen würde, befanden sich Tausende
von Blauröcken in Andersonville in Georgia. Die Konföderierten saßen auf kargen
Rationen und hatten für ihre eigenen Kranken und Verwundeten so gut wie keine
Arzneien und Verbandstoffe. Sie besaßen herzlich wenig, was sie mit den
Gefangenen noch teilen konnten. Sie ernährten sie wie ihre eigenen Soldaten im
Felde mit fettem Schweinefleisch und getrockneten Erbsen, und bei solcher Diät
starben die Yankees wie die Fliegen, manchmal zu Hunderten am Tage. Der Norden
war empört über diese Zustände und behandelte seine konföderierten Gefangenen
fortan mit größerer Schärfe, und nirgends waren die Verhältnisse schlechter als
in Rock Island. Die Ernährung war karg, eine Bettdecke mußte für drei Mann
ausreichen, und die Verheerungen, die durch Blattern, Lungenentzündung und
Typhus angerichtet wurden, machten den Ort zu einem Pesthause. Drei Viertel der
Leute, die dorthin geschickt wurden, kamen nicht lebend wieder zurück.
An diesem
fürchterlichen Ort war Ashley! Er lebte, aber er war verwundet und befand sich
in Rock Island, und der Schnee mußte in Illinois hoch gelegen haben, als er
dorthin gebracht wurde. War er an seinen Wunden gestorben, seitdem Rhett Butler
Nachricht über ihn bekommen hatte? War er den Blattern zum Opfer gefallen? Lag
er mit kranker Lunge in Fieberphantasien und hatte keine Decke, sich zu wärmen?
»Ach,
Kapitän Butler, gibt es nicht einen Weg ... können Sie nicht Ihre Beziehungen
benutzen, damit er ausgetauscht wird?« fragte Melanie erregt.
»Mr.
Lincoln, der Barmherzige und Gerechte, der helle Tränen über Mrs. Bixbys fünf
Jungens vergoß, hat keine Träne für die Tausende von Yankees, die in
Andersonville sterben«, sagte Rhett mit verzogenem Munde. »Ihm ist es gleich,
wenn alle zugrunde gehen. Der Befehl ist heraus, ausgetauscht wird nicht. Ich
habe es Ihnen noch nicht erzählt, Mrs. Wilkes, aber Ihr Mann hatte die
Möglichkeit herauszukommen und hat keinen Gebrauch davon gemacht.«
»Nein,
wirklich!« rief Melanie ungläubig.
»Jawohl.
Die Yankees stellen Leute aus den Gefangenenlagern zum Grenzkampf gegen die
Indianer ein. Jeder, der den Treueid leistet und sich auf zwei Jahre anwerben
läßt, wird freigelassen und nach dem Westen geschickt. Mr. Wilkes hat sich
geweigert.«
»Wie
konnte er!« fuhr Scarlett auf. »Warum hat er nicht den Eid geleistet und ist
dann desertiert und nach Hause gekommen!«
Wie eine
kleine Furie wandte Melanie sich gegen sie. »Wie kannst du nur an so etwas
denken! Sein eigenes Vaterland durch den schmählichen Eid verraten und dann den
Yankees sein Wort brechen! Lieber möchte ich, er wäre tot in Rock Island, als
daß er solchen Eid leistet. Wenn er in Gefangenschaft stürbe, wäre ich stolz
auf ihn. Täte er aber so etwas, so könnte ich ihm nicht mehr ins Angesicht
sehen.«
Als Rhett
Butler aufbrach, fragte Scarlett ihn zornig: »Wenn Sie es gewesen wären, hätten
Sie sich von den Yankees anwerben lassen, um aus dem Lager zu kommen, und waren
dann desertiert?«
»Selbstverständlich!«
Rhett Butler lächelte unter seinem Schnurrbart.
»Warum hat
denn Ashley es nicht getan?«
»Er ist
ein Gentleman«, sagte Rhett, und Scarlett wunderte sich, daß man in dieses eine
schöne, ehrenhafte Wort so viel bittere Menschenverachtung legen konnte.
DRITTES BUCH 17
Es kam der
Mai
Weitere Kostenlose Bücher