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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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waren. Sie hatten eben nicht Truppen genug, um ihre Stellungen zu halten
und gleichzeitig die feindlichen Flankenbewegungen zu verhindern. Wo dieser
Rückzug enden sollte, das wußten sie nicht. Aber der alte Joe wußte, was er
tat, und das war ihnen genug. Er hatte den Rückzug meisterhaft geführt. Sie
hatten nur geringe Verluste zu beklagen, die Yankees dagegen viele Tote und
Verwundete. Nicht einen einzigen Eisenbahnwagen hatten sie verloren, nur vier
Kanonen, und auch die Straße in ihrem Rücken, die sich das sonnige Tal hinunter
nach Atlanta schlängelte, war noch in ihrer Hand. Männer legten sich schlafen,
wo sie die Schienen matt im Sternenglanz schimmern sahen. Männer legten sich
zum Sterben nieder, und das letzte, dem ihre wirren Blicke begegneten, waren
die Schienen, deren Metall in der erbarmungslosen Sonnenhitze flimmerte.
    Als die
Armee durch das Tal zurückmarschierte, zog ein Heer von Flüchtlingen vor ihnen
her. Pflanzer und Kleinfarmer, reich und arm, weiß und schwarz, Frauen und
Kinder, die Alten, die Sterbenden, die Verwundeten, die Schwangeren, alles
drängte sich die Straße nach Atlanta hinunter, im Zug, zu Fuß und zu Pferde, in
Equipagen und Leiterwagen, die mit Koffern und Hausgerät beladen waren. Fünf
Meilen vor der Armee zogen die Flüchtlinge her, machten in Resaca, in Calhoun,
in Kingston halt und hofften auf jeder Rast zu erfahren, daß die Yankees sich
zurückzogen. Aber hier gab es kein Zurück. Die grauen Truppen zogen an leeren
Gutshäusern, verlassenen Höfen und einsamen Hütten, deren Türen offenstanden,
vorbei. Hier und dort waren eine einsame Frau und ein paar verängstigte Sklaven
zurückgeblieben, sie kamen auf die Straße und jubelten den Soldaten zu,
brachten Eimer mit Wasser für die Durstigen, verbanden die Wunden und begruben
die Toten auf ihren eigenen Friedhöfen. Aber zumeist lag das sonnenbeschienene
Tal wüst und verlassen, und auf den verbrannten Feldern standen die
uneingebrachten Ernten.
    Als
Johnston von neuem angegriffen wurde, zog er sich nach Adairsville, dann nach
Caßville und endlich noch über Cartersville nach Süden zurück. Der Feind war
jetzt fünfundfünfzig Meilen über Dalton hinaus vorgedrungen. Wieder gruben sich
die grauen Reihen ein, um entschlossenen Widerstand zu leisten. Die blauen
Reiter rückten erbarmungslos nach, einer ungeheuerlichen Schlange gleich, die
sich heranwand, giftig zubiß, sich wieder aufrollte, wenn sie verletzt wurde,
und immer von neuem vorstieß. Bei der »Neuen-Hoffnung-Kirche« kam es zu einem
elf Tage langen verzweifelten Kampf, in dem jeder Sturm der Yankees blutig
abgeschlagen wurde. Dann fielen sie Johnston abermals in die Flanken, und er
zog seine gelichteten Reihen wiederum ein paar Meilen zurück.
    Bei der
»Neuen-Hoffnung-Kirche« hatten die Konföderierten viele Tote und Verwundete zu
beklagen. Die Verwundeten fluteten in Eisenbahnwagen nach Atlanta hinein, und
die Stadt schauderte. Noch nie, auch nach Chickamauga nicht, hatte die Stadt so
viele Verwundete gesehen. Die Lazarette quollen über. Die Ärmsten lagen in
leeren Speichern am Boden oder in den Lagerhäusern auf Baumwollballen. Jedes
Hotel, jede Pension, jedes Privathaus war mit Leidenden besetzt. Auch Tante
Pitty bekam ihr Teil, obwohl sie sich dagegen verwahrt hatte, weil es unpassend
sei, fremde Männer im Hause zu haben, während Melanie in anderen Umständen sei
und aufregende Eindrücke eine vorzeitige Niederkunft herbeiführen könnten. Aber
Melanie knüpfte den Reifrock höher, um ihren Zustand zu verbergen, und die
Verwundeten zogen in das Backsteinhaus ein. Nun wurde gekocht und gebettet,
gewaschen und gefächelt, Binden gerollt und Scharpie gezupft, und endlose
Nächte kamen, in denen man vor dem stammelnden Delirium der Verwundeten im
Nebenzimmer nicht schlafen konnte. Schließlich vermochte die erstickende Stadt
keine Verwundeten mehr aufzunehmen, und der Überschuß wurde in die Lazarette
von Macon und Augusta abgeschoben.
    Mit den
verzweifelten Flüchtlingen und Verwundeten strömten die widersprechendsten
Berichte und Gerüchte herein. Das Wölkchen am Horizont harte sich schnell zu
einer drohenden, schwarzen Gewitterwolke ausgewachsen. Es war, als wehte von
dort ein eisiger Windhauch heran. Den Glauben an die Unbesiegbarkeit der
Truppen hatte man noch immer nicht verloren. Aber schon geriet das Vertrauen
auf die Kriegskunst des alten Joe ins Wanken. Die »Neue-Hoffnung-Kirche« lag
nur fünfunddreißig Meilen von Atlanta

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