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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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diesen Gestank noch
länger aushalten soll. Wäre ich doch eine alte Dame, dann könnte ich selber die
jungen anschnauzen, anstatt mich anschnauzen zu lassen, und einem alten Drachen
wie der Merriwether sagen, sie solle sich zum Kuckuck scheren!«
    Ja, sie
hatte das Lazarett satt. Sie konnte die ekelerregenden Gerüche, das Ungeziefer,
die ungewaschenen Körper und den Anblick all der Schmerzen nicht mehr ertragen.
Wenn je etwas Erhebendes und Romantisches an dieser Arbeit gewesen war, so war es
seit langem damit vorbei. Außerdem waren die Leute, die jetzt auf dem Rückzug
verwundet wurden, den ersten Verwundeten von damals wenig ähnlich. Sie hatten
nicht das mindeste für Scarlett übrig und wußten wenig mehr zu sagen als: »Wie
steht der Kampf? Was macht der alte Joe jetzt? Ein mächtig kluger Bursche, der
alte Joe.« Sie selbst fand das durchaus nicht. Er hatte die Yankees
achtundachtzig Meilen nach Georgia hereingelassen und weiter nichts
fertiggebracht. Nein, dies alles war wirklich nicht anziehend. Viele starben
rasch und still. Sie hatten nicht mehr Kraft genug übrig, um der
Blutvergiftung, des Brandes, des Typhus und der Lungenentzündung Herr zu
werden, die schon ausgebrochen waren, ehe sie nach Atlanta in Behandlung kamen.
    Der Tag
war heiß, die Fliegen kamen in Schwärmen zum offenen Fenster herein. Feiste
träge Fliegen, die mehr noch als der Schmerz die Widerstandskraft der Leute
zerstörten. Die trübe Flut von Dunst und Qual stieg höher und höher um
Scarlett. Schweiß durchnäßte ihr frisch gestärktes Kleid, als sie mit dem
Becken in der Hand Dr. Meade überallhin folgte. Ach, ihr war so übel, wie sie
da neben dem Doktor stand und mit dem Brechreiz kämpfte, wenn er mit dem
blanken Messer in brandiges Fleisch schnitt. Und wie grauenhaft war es, das
Geschrei aus dem Operationssaal, wo Amputationen vorgenommen wurden, mit
anhören zu müssen! Dazu dieses elende hilflose Mitleid, das ihr kam, wenn sie
die gespannten bleichen Gesichter der Männer sah, die auf den Doktor warteten
und alsbald die furchtbaren Worte vernehmen sollten: »Es tut mir sehr leid,
mein Junge, aber die Hand muß ab. Ja, ich weiß schon, aber sieh hier die roten
Streifen! Sie muß ab.«
    Chloroform
war jetzt so knapp, daß es nur noch bei den schlimmsten Operationen gebraucht
wurde, und Opium war eine Kostbarkeit, die man nur noch benutzte, um den
Hoffnungslosen aus dem Leben zu helfen, und nicht mehr, um Lebenden die
Schmerzen zu lindern; Chinin und Jod gab es überhaupt nicht mehr. Ja, Scarlett
hatte es alles satt und hätte viel darum gegeben, sich wie Melanie mit
Schwangerschaft entschuldigen zu können. Dies war in jenen Tagen ungefähr die
einzige Entschuldigung, die man gelten ließ.
    Als es
Mittag wurde, band sie die Schürze ab und stahl sich aus dem Lazarett, während
Mrs. Merriwether gerade damit beschäftigt war, einem humpelnden
Gebirgsbewohner, der nicht schreiben konnte, einen Brief aufzusetzen. Scarlett
konnte es einfach nicht mehr aushalten. Und wenn erst die neuen Verwundeten mit
dem Mittagszug hereinkamen, gab es sicher abermals Arbeit bis Mitternacht und
wahrscheinlich nichts zu essen.
    Eilig lief
sie die beiden Häuserblocks entlang bis zur Pfirsichstraße und sog die reinere
Luft in so tiefen Zügen ein, wie es ihr festgeschnürtes Korsett nur zuließ. Sie
stand an der Ecke und zauderte. Sie schämte sich, nach Hause zu gehen, aber sie
war entschlossen, nicht ins Lazarett zurückzukehren. Da kam Rhett Butler
vorbeigefahren.
    »Sie sehen
ja aus wie des Lumpensammlers Töchterlein«, bemerkte er und umfaßte mit den
Augen das geflickte, fleckige lavendelblaue Kattunkleid, über das sich
stellenweise Wasser aus dem Becken ergossen hatte. Scarlett zitterte vor
Verlegenheit und vor Zorn. Warum bemerkte er es immer, wenn eine Frau
unvorteilhaft aussah, und unterließ es nie, seine ungezogenen Glossen darüber
zu machen!
    »Ich will
kein Wort von Ihnen hören. Steigen Sie aus, helfen Sie mir in den Wagen und
fahren Sie mich irgendwohin, wo niemand mich sieht; ich will nicht ins Lazarett
zurück, und wenn sie mich aufhängen! Herrgott noch einmal, ich habe den Krieg
nicht angefangen, und ich sehe nicht ein, warum ich mich von ihm totquälen
lassen soll!«
    »Ein
Verräter an unserer ruhmreichen Sache?«
    »Und Sie?
- Wohin wir fahren, ist mir gleich. Fahren will ich.«
    Er schwang
sich aus dem Wagen, und plötzlich kam ihr der Gedanke, wie schön es doch sei,
einem Mann zu begegnen, der seine heilen

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