Margaret Mitchell
sie aus dem Hause jagen. Aber Maybelle mit ihrem Kindchen und Fanny
Elsing gingen nach Macon. Mrs. Meade war zum erstenmal in ihrer Ehe ungehorsam
und schlug es ihrem Manne rundweg ab, sich in Sicherheit zu bringen. Sie werde
gebraucht, sagte sie. Außerdem lag Phil irgendwo im Schützengraben, und in
seiner Nähe wollte sie bleiben.
Aber Mrs.
Whiting und viele andere Damen aus Scarletts Kreise reisten ab. Pitty war unter
den ersten gewesen, die über den alten Joe wegen seiner Rückzugstaktik
herfielen; nun war sie auch unter den ersten, die die Koffer packten. Sie habe
zarte Nerven, sagte sie, und könne den Lärm nicht vertragen. Bei einer
Explosion könne sie wohl gar in Ohnmacht fallen und nicht mehr rechtzeitig in
den Keller gelangen. Nein, Angst habe sie nicht. Ihr kindliches Mündchen suchte
sich mit wenig Erfolg den Anblick einer kriegerischen Festigkeit zu geben. Sie
wollte aber doch lieber nach Macon, zu ihrer Cousine, der alten Mrs. Burr, und die
Mädchen sollten mitkommen. Scarlett wollte nicht. Wohl hatte sie Angst vor den
Granaten, aber sie konnte die alte Mrs. Burr auf den Tod nicht ausstehen. Vor
Jahren hatte Mrs. Burr einmal gesagt, sie sei »schamlos«, weil sie sie dabei
ertappte, wie sie auf einer Gesellschaft bei Wilkes ihren Sohn Willie küßte.
»Nein«, sagte sie zu Tante Pitty, »ich fahre heim nach Tara, und Melly kann mit
dir nach Macon gehen.«
Bei diesen
Worten fing Melly angstvoll und herzzerreißend zu weinen an. Als darauf Tante
Pitty entfloh, um Dr. Meade zu holen, ergriff Melanie Scarletts Hand und
flehte: »Liebes, verlaß mich nicht, geh nicht nach Tara! Ich bin ohne dich so
einsam. Ach, Scarlett, bleib bei mir, bis das Kind kommt. Ich weiß ja, ich habe
Tante Pitty, aber sie hat doch nie ein Kind gehabt, und manchmal fällt sie mir
so auf die Nerven, daß ich schreien möchte. Laß mich nicht allein, du bist mir
wie eine Schwester, und ... hast du nicht auch Ashley versprochen, für mich zu
sorgen? Er sagte mir, er wolle dich darum bitten.«
Scarlett
blickte sie verwundert an. Wie war es nur möglich, daß diese Frau, für die sie
so wenig übrig hatte, sie so liebte! Wie konnte Melly so blind sein, dem
Geheimnis ihrer Liebe zu Ashley nicht auf die Spur zu kommen? Hatte sie sich in
diesen qualvollen Monaten, wenn sie auf Nachrichten von ihm wartete, nicht
tausendmal verraten? Aber Melanie merkte nichts, sie sah immer nur das Gute.
Ja, Scarlett hatte Ashley versprochen, sich seiner Frau anzunehmen. Nun war die
Stunde gekommen, das Versprechen einzulösen.
»Gut«,
sagte sie kurz, »ich halte mein Wort. Aber nach Macon will ich nicht, denn ich
würde der alten Burr nach fünf Minuten die Augen auskratzen. Ich gehe nach
Tara, und du kannst mitkommen. Mutter würde sich sehr freuen.«
Dr. Meade
kam ganz außer Atem und erwartete, Melanie bereits in den ersten Wehen zu
finden, so dringend hatte Tante Pitty ihn gerufen. Jetzt war er sehr ernstlich
böse und verhehlte es nicht. Als er den Grund der Aufregung erfuhr, entschied
er die Frage mit Worten, die keinen Widerspruch mehr duldeten: »Eine Reise nach
Macon ist für Sie ganz ausgeschlossen, Miß Melly, ich übernehme keine
Verantwortung für Sie, wenn Sie fahren. Die Züge sind überfüllt und unsicher,
oft genug werden die Passagiere irgendwo im Walde abgesetzt, wenn Wagen für
Truppen oder Kriegsmaterial gebraucht werden, und in Ihrem Zustand ... «
»Aber wenn
ich mit Scarlett nach Tara ginge?«
»Sie
dürfen nicht von hier weg. Die Fahrt nach Tara wäre nicht anders als die nach
Macon. Außerdem weiß niemand genau, wo die Yankees eigentlich stecken. Sie sind
überall und nirgends. Ihr Zug kann angehalten werden, und selbst wenn. Sie heil
bis Jonesboro kommen, haben Sie immer noch fünf Meilen schlechter Straße vor
sich, ehe Sie in Tara sind. Das ist keine Reise für eine Frau in anderen
Umständen. Außerdem ist kein Arzt mehr in der Provinz, seitdem auch der alte
Dr. Fontaine zur Armee gegangen ist.«
»Aber es
gibt doch Hebammen ... «
»Ich
spreche von einem Arzt«, antwortete er schroff. Seine Augen glitten über ihren
allzu zarten Körper. »Ich sage Ihnen, Sie dürfen nicht reisen. Sie wollen doch
Ihr Kind nicht im Zug oder in der Kutsche bekommen, nicht wahr?«
Vor so
viel ärztlichem Freimut schwiegen die Damen betreten.
»Sie
bleiben hier unter meiner Aufsicht und gehen zu Bett. Es gibt auch kein
Treppenlaufen in den Keller und wieder zurück, und sollten die Granaten
schnurstracks zum Fenster
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