Margaret Mitchell
hereinfliegen. So groß ist die Gefahr schließlich
hier nicht. Bald haben wir ja die Yankees zurückgeschlagen. So, Miß Pitty, nun
also auf nach Macon, und die jungen Damen lassen Sie hier!«
»Ohne
Aufsicht?« Pittypat war entgeistert.
»Es sind
ja erwachsene Frauen«, rief der Doktor, »und Mrs. Meade wohnt nur zwei Häuser
weiter! In Miß Mellys Zustand empfangen sie ja wohl ohnehin keinen
Männerbesuch. Gott im Himmel Miß Pitty, es sind Kriegszeiten. Wir können jetzt
nicht daran denken, was sich schickt und was nicht.«
Er
stampfte aus dem Zimmer und wartete an der Haustür.
»Ich will
offen mit Ihnen reden, Miß Scarlett«, fing er an und zog an seinem grauen Bart.
»Sie sind doch wohl ein vernünftiges Frauenzimmerchen, deshalb verschonen Sie
mich bitte mit Ihrem Rotwerden. Ich will nichts mehr davon hören, daß Miß Melly
abreist. Sie würde die Fahrt nicht überstehen. Sie hat eine schwere Entbindung
vor sich.
Ohne die
Zange wird es nicht abgehen. Ich will nicht, daß eine schwarze Hebamme an ihr
herumpfuscht. Frauen wie sie dürfen überhaupt keine Kinder haben. Packen Sie
also Miß Pittys Koffer und schicken Sie sie nach Macon, denn sie hat ein
solches Hasenherz, daß sie nur schädliche Aufregung verursacht. Aber von Ihrer
Reise nach Hause, Miß Scarlett, will ich auch nichts mehr hören.« Er blickte
sie fest und durchdringend an. »Sie bleiben bei Miß Melly, bis das Kind kommt.
Keine Angst, was?«
»Aber
nein«, log Scarlett tapfer.
»Brav!
Mrs. Meade hilft Ihnen gern, sooft Sie sie brauchen. Ich schicke Ihnen die alte
Betsy zum Kochen, wenn Miß Pitty ihre Dienstboten mitnehmen will. Es ist ja
nicht auf lange Zeit. Das Kind sollte in fünf Wochen dasein, aber bei all der
Aufregung kann es jeden Tag kommen.«
Tante
Pitty zog also unter Tränenfluten nach Macon und nahm Onkel Peter und Cookie
mit. Equipage und Pferd stiftete sie in einer Anwandlung von Patriotismus dem
Lazarett, bereute es aber sofort, was noch mehr Tränen kostete. Scarlett und
Melanie blieben mit Wade und Prissy in dem Hause zurück, das nun, trotz der
fortwährenden Beschießung, weit ruhiger war als vorher.
19
In den
ersten Tagen der Belagerung hatte Scarlett vor den explodierenden Granaten
solche Angst, daß sie sich nur die Ohren zuhalten und hilflos niederkauern
konnte; jeden Augenblick erwartete sie, in die Ewigkeit hineingesprengt zu
werden. Wenn sie das Pfeifen und Krachen hörte, das den Einschlag begleitete,
stürzte sie in Mellys Zimmer und warf sich neben sie aufs Bett, und die beiden
umklammerten sich und versteckten die Köpfe im Kissen, während Prissy und Wade
in den Keller liefen und sich in den spinnwebüberzogenen Ecken niederkauerten,
Prissy aus Leibeskräften jaulend, Wade schluchzend und schluckend.
Scarlett
erstickte fast in den Kissen, während kreischend der Tod über sie hinzog, und
verwünschte im stillen Melanie, die sie von dem sicheren Bereich des Kellers
fernhielt. Aber der Doktor hatte Melanie verboten aufzustehen, und Scarlett
mußte bei ihr bleiben. Zu der Todesfurcht kam die nicht minder schreckliche
Angst, daß Melanies Kind jeden Augenblick kommen konnte. Scarlett brach der
Schweiß aus allen Poren, sooft sie nur daran dachte. Was sollte sie tun, wenn die
Wehen eintraten? Lieber ließ sie Melanie umkommen, als auf die Straße zu laufen
und den Doktor zu holen, während die Granaten wie ein Aprilregen fielen. Prissy
aber würde sie zu Tode prügeln können, ehe die sich hinauswagte. Als sie jedoch
eines Abends leise mit ihr darüber sprach, kamen zu ihrem Erstaunen aus Prissys
Munde beruhigende Worte.
»Miß
Scarlett, wenn es mit Miß Melly soweit ist, regen sich nicht auf, selbst wenn
wir Doktor nicht holen können, mich bin schon mit allem allein fertig, mich mit
allem bei Geburt sehr, sehr gut Bescheid weiß, Ma sein doch sehr, sehr gute
Hebamme, mich auch dazu erzogen später Hebamme werden, das überlassen Miß
Scarlett nur immer Prissy.«
Seitdem
sie wußte, daß erfahrene Hände in der Nähe seien, war Scarlett ruhiger geworden.
Trotzdem aber wünschte sie, alles erst überstanden zu haben. Sie verspürte ein
sehnliches Verlangen, den schrecklichen Granaten zu entfliehen und nach Hause
auf das ruhige Tara zu gehen, und Abend für Abend betete sie, das Kind möge
endlich kommen. Dann hatte sie ihr Versprechen eingelöst und konnte Atlanta
verlassen.
Sie sehnte
sich so schmerzlich wie noch nie im Leben nach Hause und nach ihrer Mutter.
Allabendlich ging sie mit dem
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