Margaret Mitchell
schwarz wie die von Negern, die Wunden unverbunden
und blutüberkrustet, und alle von dichten Fliegenschwärmen gepeinigt.
Tante
Pittys Haus gehörte zu den ersten, das die Verwundeten erreichten, wenn sie
sich vom Norden her zur Stadt hereinschleppten. Einer nach dem andern taumelte
gegen die Pforte, brach auf dem Rasen zusammen und ächzte: »Wasser!«
Den ganzen
glühendheißen Nachmittag hindurch standen Pittypat und ihre Hausgenossen, Weiße
und Schwarze, mit Eimern voll Wasser und Verbandzeug in der Sonne, flößten
Getränke ein und verbanden Wunden, bis keine Bandagen mehr da waren und auch
die zerrissenen Laken und Handtücher aufgebraucht waren. Tante Pitty hatte
völlig vergessen, daß es ihr immer schwarz vor den Augen wurde, sobald sie Blut
sah, und sie arbeitete, bis die Füßchen in den zu kleinen Schuhen sie nicht
länger mehr trugen. Sogar Melanie vergaß die Scham ihrer Schwangerschaft und
arbeitete fieberhaft mit Prissy, Cookie und Scarlett, bis ihre Gesichtszüge
einfielen wie die der Verwundeten. Als sie schließlich zusammenbrach, war nur
noch auf dem Küchentisch für sie Platz, denn jedes Bett und jeder Stuhl im
Hause war mit Verwundeten besetzt.
Inmitten
all der Unruhe hockte der kleine Wade vergessen hinter dem Treppengeländer und
spähte wie ein gefangenes Kaninchen mit großen, angstvollen Augen auf den Rasen
hinunter, lutschte am Daumen und hatte seinen Schluckauf. Einmal erblickte
Scarlett ihn und rief ihm ungehalten zu: »Geh nach hinten in den Garten, Wade,
und spiel!«
Aber er
war von den wüsten Szenen, die sich vor seinen Augen abspielten, so gebannt,
daß er nicht gehorchte.
Überall
auf dem Rasen lagen die Leute ausgestreckt, zu erschöpft, um weiterzugehen, und
von ihren Wunden so geschwächt, daß sie sich nicht zu rühren vermochten. Onkel
Peter lud sie dann in die Equipage und fuhr sie ins Lazarett, und so ging es
immer hin und her, hin und her, bis das alte Pferd von Schaum bedeckt war. Auch
Mrs. Meade und Mrs. Merriwether stellten ihre Wagen zur Verfügung, die nun ebenfalls
hinund herfuhren, und die Federn bogen sich unter dem Gewicht der Verwundeten.
Später
kamen dann in der Dämmerung die Ambulanzen und die mit schmutzigen Planen
bedeckten Intendanturwagen vom Schlachtfeld her die Straße herangerumpelt.
Ihnen folgten Bauernwagen, Ochsenkarren und Privatequipagen, die man requiriert
hatte. Sie polterten über die höckerige Straße, vollgepackt mit Verwundeten und
Sterbenden, am Hause vorbei, und das Blut tropfte in den roten Staub. Beim
Anblick der Frauen mit den Eimern und Schöpfkellen hielten die Fuhrwerke an,
und der ganze Chor ächzte und wimmerte durcheinander: »Wasser! Wasser!«
Scarlett hielt die schwankenden Köpfe, damit die verdorrten Lippen trinken
konnten, goß Wasser über staubige, fiebernde Stirnen und in offene Wunden
hinein, damit die Leute für einen kurzen Augenblick Linderung verspürten. Sie
stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Fahrern zur Erquickung die
Schöpfkelle zu reichen, und fragte jeden einzelnen, das Herz in der Kehle:
»Wie steht
es, wie steht es?«
Und immer
kam die Antwort: »Weiß nicht, meine Dame, man kann noch nichts sagen!«
Die Nacht
brach an, es war schwül, und kein Lüftchen regte sich. Die flammenden Kienspäne
in den Händen der Neger machten die Luft noch heißer. Der Staub verstopfte
Scarlett die Nase und dörrte ihr die Lippen. Ihr lavendelblaues Kattunkleid,
das sie am Morgen frisch gewaschen angezogen hatte, war jetzt über und über von
Schweiß und Schmutz und Blut besudelt. Das also hatte Ashley gemeint, als er
schrieb, Krieg wäre nicht Ruhm, sondern Elend und Schmutz.
In ihrer
Ermüdung erschien ihr das ganze Bild wie ein unwirklicher, böser Traum. Denn
wenn dies alles Wirklichkeit war, dann war die Welt irrsinnig geworden. Wenn es
aber nicht Wirklichkeit war, warum stand sie denn hier in Tante Pittys
friedlichem Vorgarten zwischen flackernden Lichtern und goß Wasser über
sterbende junge Männer? So viele von ihnen waren ihre Verehrer gewesen und
versuchten zu lächeln, wenn sie sie erblickten. So viele vertraute Gefährten
ihrer Jugend kamen diese dunkle staubige Straße herunter, so viele starben vor
ihren Augen, das blutige Antlitz von Mücken umschwärmt. So viele, mit denen sie
getanzt und gelacht, denen sie vorgespielt und vorgesungen, die sie geneckt,
getröstet und - ein wenig - auch geliebt hatte.
Carey
Ashburn lag inmitten eines Haufens anderer Verwundeter zuunterst auf
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