Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
winzigen Lichtstreifen matter wurden, zog sie die Jalousien
hoch. Sie sah, daß es schon spät am Nachmittag war und die Sonne wie ein roter
Ball tief am Horizont stand. Sie hatte sich gar nicht vorstellen können, daß
dieser siedendheiße Tag je vorüberging.
    Leidenschaftlich
gern hätte sie gewußt, was sich in der Stadt zutrug. Ob die Yankees schon da
waren? Sherman! Der Name des Leibhaftigen jagte ihr nicht so viel Schrecken ein
wie dieser. Aber immer von neuem lenkte die Kranke sie von ihren Gedanken ab.
Als die Dämmerung hereinbrach und Prissy die Lampe anzündete, wurde Melanie
schwächer. Immer wieder rief sie in Fieberphantasien nach Ashley, bis Scarlett
von der wilden Lust ergriffen wurde, diesen unheimlichen, eintönigen Ruf in den
Kissen zu ersticken. Vielleicht kam der Doktor schließlich doch noch? Sie
schickte Prissy mit dem Auftrage fort, hinüberzulaufen und zu sehen, ob der
Doktor oder seine Frau dort sei. »Wenn er nicht da ist, frag Mrs. Meade oder
Cookie, was wir tun sollen, und bitte sie, herüberzukommen.« Prissy klapperte
davon, und Scarlett sah sie die Straße schneller hinunterrennen, als sie es dem
nichtsnutzigen Kind zugetraut hätte. Nach längerer Zeit kam sie allein zurück.
    >Doktor
ganzen Tag nicht nach Hause kommen, hat bestellen lassen, er mußte mit den
Soldaten weg, Miß Scarlett, und mit Master Phil ist vorbei.«
    »Tot?«
    »Jawohl,
Missis«, Prissy kam sich ungemein wichtig vor. »Kutscher Talbot es mir
erzählen, er hat einen Schuß ... «
    »Einerlei
jetzt.«
    »Mrs.
Meade auch nicht gesehen, Cookie sagen, Mrs. Meade ihn waschen und
zurechtmachen, daß er begraben werden, ehe die Yankees herkommen, Cookie sagen,
wenn die Schmerzen zu schlimm werden, wir einfach ein Messer unter Miß Melanies
Bett legen, das schneidet den Schmerz entzwei.«
    Am
liebsten hätte Scarlett ihr für diese Mitteilung wieder eine Ohrfeige gegeben,
aber Melanie riß die Augen weit auf und flüsterte: »O Gott, kommen denn die
Yankees?«
    »Nein«,
sagte Scarlett, ohne mit der Wimper zu zucken, »Prissy lügt.«
    »Doch,
Missis, ganz gewiß«, widersprach Prissy voll Eifer.
    »Sie
kommen«, flüsterte Melanie und verbarg ihr Gesicht im Kissen. Sie ließ sich
nicht täuschen. Gedämpft kam es von ihrem Bett her: »Mein armes, armes Kindchen!«
und nach einer langen Pause: »O Scarlett, du darfst nicht hierbleiben, du mußt
mit Wade fortgehen.«
    Was
Melanie da sagte, war nichts anderes, als was Scarlett selber gedacht hatte.
Als sie es aber mit Worten hörte, brachte es sie in Wut und beschämte sie, als
stünde ihre heimliche Feigheit ihr deutlich auf dem Gesicht geschrieben.
    »Sei keine
Gans, ich habe keine Angst. Du weißt, daß ich dich hier nicht allein lasse.«
    »Du
könntest es getrost tun, ich sterbe doch!« Und wieder begann sie zu stöhnen.
     
    Langsam,
wie eine alte Frau, tastete Scarlett sich im Dunkeln die Treppe hinunter, um
nicht zu fallen. Die Beine waren ihr bleischwer und zitterten vor Erschöpfung.
In dem Schweiß, der ihre Kleider durchnäßt hatte, zitterte sie vor Kälte, und
matt sank sie vor der Haustür auf der obersten Stufe nieder, lehnte sich gegen
einen Pfeiler und knöpfte mit bebender Hand ihr Kleid bis zum Busen auf. In der
warmen, linden Dunkelheit der Nacht kauerte sie da und starrte stumpf wie ein
Tier vor sich hin.
    Alles war
überstanden. Melanie war nicht tot, und der kleine Junge, wie ein Kätzchen
quiekend, bekam von Prissys Händen sein erstes Bad. Melanie schlief. Wie konnte
sie nach so schauerlichen Schmerzen und einer so unzulänglichen Geburtshilfe,
die eher weh tat als half, noch schlafen!
    Scarlett
war überzeugt, sie selbst wäre bei solcher Behandlung zugrunde gegangen. Aber
als alles vorüber war, hatte Melanie sogar, so leise, daß Scarlett sich über
sie beugen mußte, um es zu verstehen, das Wort: »Danke ... « geflüstert. Dann
war sie eingeschlafen. Scarlett hatte ganz vergessen, daß auch sie damals nach
Wades Geburt sogleich eingeschlummert war. Sie begann alles zu vergessen. Der
Kopf war ihr leer, die ganze Welt war leer. Nichts weiter war um sie, keine
Erinnerung als nur die schwüle Nacht und der Klang ihres heiseren, müden Atems.
Sie hörte zu, wie er plötzlich in krampfhaftes Schluchzen überging. Aber ihre
Augen brannten nur trocken, als könnten sie sich nie wieder mit Tränen füllen.
Mühsam beugte sie sich vornüber und zog die schweren Röcke bis auf die Schenkel
hinauf. Die Nachtluft sollte ihr die Glieder erquicken. Es ging

Weitere Kostenlose Bücher