Margaret Mitchell
ihr durch den
Kopf, was Tante Pitty wohl sagen würde, wenn sie sie hier auf der Vorderveranda
hingestreckt sähe, die Röcke bis zu den Knien heraufgezogen.
Die Zeit
stand still. Es mußte Mitternacht sein. Sie wußte es nicht. Es war ihr
einerlei.
Oben hörte
sie Schritte gehen, dann schlossen sich ihre Augen, und etwas wie Schlaf
überkam sie. Nach einer unbestimmten Weile stand Prissy neben ihr und schwatzte
vergnügt auf sie ein. »Das haben wir gut machen, Miß Scarlett ... das machen Ma
auch nicht besser.«
Müde
starrte Scarlett sie an, zu müde, um sie noch auszuschalten und ihr all ihre
Untaten vorzuhalten; wie sie sich einer Erfahrung gerühmt hatte, die sie nicht
besaß, ihre Angst, ihre täppische Ungeschicklichkeit, ihre völlige
Unbrauchbarkeit in der Not; wie sie die Schere verlegt, das Wasser vergossen,
das Neugeborene fallen gelassen hatte. Und nun tat sie sich mit ihrer Leistung
groß.
Die
Yankees wollten die Neger befreien! Nun, wohl bekomm es ihnen.
Sie lehnte
sich schweigend wieder gegen die Pfosten, und Prissy zog sich auf Zehenspitzen
in die Dunkelheit der Veranda zurück. Nach einer längeren Weile, während ihr
Atem und ihr Kopf endlich zur Ruhe kamen, hörte Scarlett leise Stimmen von der
Straße her und viele Schritte aus der nördlichen Richtung. Soldaten! Langsam
richtete sie sich auf, zog die Röcke herunter, obwohl sie wußte, daß sie in der
Dunkelheit nicht gesehen werden konnte, und als die Schritte, deren Zahl nicht
abzumessen war, vor dem Hause ankamen, rief sie: »Ach bitte!«
Ein
Schatten löste sich aus der dunklen Masse und trat an die Pforte.
»Marschieren
Sie jetzt ab? Verlassen Sie uns?«
Der
Schatten schien den Hut abzunehmen. Ruhig kam es aus der Finsternis zurück:
»Ja,
gnädige Frau, wir sind die letzten Leute aus den Befestigungen nördlich der
Stadt.«
»So zieht
die Armee also wirklich ab?«
»Ja,
gnädige Frau, die Yankees kommen.«
»Die
Yankees kommen!« Das hatte sie ja vergessen. Der Schatten entfernte sich, die
Schritte verklangen im Dunkeln!. Die Yankees kommen! Wieder schlug ihr laut
hämmerndes Herz diesen Satz mit jedem Schlag von neuem.
»Die
Yankees kommen«, heulte Prissy und drängte sich dicht an Scarlett.
»Ach, Miß
Scarlett, sie uns schlagen alle tot! Sie uns rennen alle ihre Bajonette in
Bauch!«
»Still!«
Es war schlimm genug, an so etwas zu denken. Was sollte sie tun, wie konnten
sie entfliehen, an wen sich wenden? Alle hatten sie im Stich gelassen.
Plötzlich
fiel ihr Rhett Butler ein, und jede Furcht verschwand. Warum hatte sie nicht
heute morgen an ihn gedacht, während sie kopflos umhergeirrt war. Sie haßte
ihn, aber er war stark und unerschrocken und fürchtete die Yankees nicht. Er
befand sich noch in der Stadt. Natürlich war sie ihm sehr böse. Er hatte das
letztemal Unverzeihliches gesagt. Aber in Augenblicken höchster Not mußte man
darüber hinwegsehen. Zudem besaß er Pferd und Wagen. Ach, warum hatte sie nicht
eher an ihn gedacht! Er konnte sie alle aus dieser gottverlassenen Stadt und
von den Yankees fortfuhren, irgendwohin.
Fieberhaft
sprach sie auf Prissy ein. »Du weißt, wo Kapitän Butler wohnt, im
Atlanta-Hotel? Schön, lauf dahin, so schnell du kannst, und sage ihm, er möchte
rasch herkommen und Wagen und Pferd mitbringen oder einen Krankenwagen, wenn er
einen auftriebe. Erzähl ihm von dem Kind. Sag ihm, er solle uns von hier
fortbringen. Lauf, aber flink!«
»Allmächtiger
Gott, Miß Scarlett, ich haben Angst ganz allein im Dunkeln herumlaufen, wenn
die Yankees mich kriegen ... «
»Wenn du
dich beeilst, kannst du die Soldaten noch einholen, und die Yankees werden dich
nicht kriegen. Mach, daß du fortkommst.«
»Ich haben
Angst! Wenn nun Kapitän Butler nicht in Hotel ...«
»Dann frag
nach ihm. Hast du denn nicht einen Funken Mut? Wenn er nicht irrt Hotel ist, so
frag nach ihm in den Bars an der Decaturstraße. Geh zu Belle Watling. Such ihn
überall. Du Schafskopf! Begreifst du denn nicht, daß die Yankees uns alle
überfallen, wenn du ihn nicht schleunigst herholst?«
»Aber, Miß
Scarlett, Ma mich wie einen Baumwollstengel prügeln, wenn ich in eine Bar oder
in ein Hurenhaus gehen.«
Scarlett
stand mit Mühe auf. »Wenn du jetzt nicht gehst, verprügele ich dich. Du kannst
ja draußen von der Straße aus nach ihm schreien. Marsch!«
Als Pnssy
immer noch unschlüssig von einem Fuß auf den andern trat, gab ihr Scarlett
einen Stoß, der sie beinahe kopfüber die Haustreppe hinuntergeworfen
Weitere Kostenlose Bücher