Margaret Mitchell
hätte.
»Jetzt gehst du, oder ich verkaufe dich als Pflückerin nach dem Süden!«
Unter
Heulen und Zähneklappern hatte sich Prissy endlich auf den Weg treppabwärts
gemacht. Die Gartenpforte schlug, und Scarlett rief ihr nach:
»Beeil dich! Beeil dich, dumme
Gans!«
Sie hörte
Prissy im Trab davonklappern, dann verklangen ihre Schritte auf dem weichen
Boden.
23
Sobald sie
allein war, ging Scarlett müde in die Halle und entzündete die Lampe. Im Hause
herrschte eine Schwüle, als wäre in seinen Wänden die ganze Sonnenglut des
Mittags zurückgeblieben. Scarlett war wieder wacher geworden, und der Magen
verlangte sein Recht. Seit dem Abend vorher hatte sie nichts als einen Löffel
Maisbrei zu sich genommen. Sie ging in die Küche, fand ein halbes Maisbrot in
der Backform und nagte hungrig daran. Im Topf fand sich noch etwas Maisbrei.
Sie nahm sich nicht die Zeit, ihn auf einen Teller zu füllen, sondern aß ihn
gierig mit dem großen Kochlöffel aus dem Topf. Er war ganz salzlos und ohne
Geschmack, aber sie achtete dessen nicht. Als sie vier Löffel gegessen hatte,
nahm sie die Lampe in die eine Hand und ein Stück Maisbrot in die andere und
ging wieder in die Halle.
Eigentlich
hätte sie sich zu Melanie setzen sollen. Aber sie scheute vor dem Zimmer
zurück, in dem sie so viele grauenhafte Stunden verbracht hatte. Sie stellte
die Lampe auf das Fensterbrett und setzte sich wieder auf ihren Platz vor der
Haustür. Hier war es trotz der schwülen Nacht kühler. Sie ließ sich im
Lichtkreis der Lampe auf eine Treppenstufe nieder und nagte weiter an ihrem
Maisbrot. Danach kam ihr ein wenig Kraft zurück, aber auch die Angst stellte
sich von neuem ein. Weit weg, am anderen Ende der Straße, vernahm sie ein
Summen, ein Geräusch, das anund abschwoll, dessen Herkunft jedoch nicht zu
erkennen war. Bald taten ihr von der Anspannung des Lauschens alle Muskeln weh.
Könnte sie doch endlich Hufschlag hören und Rhett ankommen sehen, wie er mit
unbekümmerten, selbstsicheren Augen ihre Angst hinweglachte! Rhett konnte sie
fortbringen, irgendwohin. Wohin, das wußte sie nicht, es war ihr auch gleich.
Während
sie so lauschte, erschien ein schwacher Schimmer über den Bäumen. Sie
betrachtete ihn verwundert und sah ihn heller werden. Der dunkle Himmel wurde
rosig und ging dann in ein stumpfes Rot über, und auf einmal leckte in der Feme
über den Baumwipfeln eine gewaltige Flamme gen Himmel. Sie sprang auf. Die
Yankees waren da! Sie zündeten die Stadt an. Anscheinend kamen die Flammen
nicht aus der Mitte Atlantas, weiter nach Osten hin mußte es brennen. Immer
höher loderten sie und breiteten sich rasch vor Scarletts entsetzten Augen aus.
Ein ganzer Häuserblock mußte brennen. Eine leichte Brise hatte sich erhoben,
und nun kam auch der Brandgeruch zu ihr herüber.
Sie flog
die Treppe hinauf in ihr eigenes Zimmer und lehnte sich weit zum Fenster
hinaus, um besser zu sehen. Der Himmel war grauenhaft finster, aber gewaltige
Rauchwirbel stiegen empor und wogten in dichten Wolken über die Flammen hin.
Der Brandgeruch wurde stärker. Zusammenhanglos zogen ihr die Gedanken durch den
Kopf. Wann wird das Feuer hier sein und das Haus ergreifen? Wann würden die
Yankees sich auf sie stürzen? Wohin sollte sie entfliehen, was sollte sie tun?
Es war, als kreischten alle bösen Geister der Hölle ihr in die Ohren, ihr Hirn
verwirrte sich, das Entsetzen überwältigte sie. Sie hielt sich an der
Fensterbank fest, um nicht niederzusinken.
»Ich muß
nachdenken«, sagte sie sich immer wieder. »Ich muß nachdenken.«
Aber die
Gedanken, die wie aufgescheuchte Vögel durch ihren Kopf jagten, wollten sich
nicht fangen lassen. Während sie noch am Fensterbrett lehnte, ertönte eine gewaltige
Explosion, lauter als aller Geschützlärm, den sie je vernommen hatte. Eine
riesige Flamme riß den ganzen Himmel entzwei. Dann folgten weitere Explosionen.
Die Erde bebte. Die Scheiben über ihrem Kopf klirrten und fielen mit Getöse
herab. Die ganze Welt war in eine tosende, lodernde, weithin bebende Hölle
verwandelt, während eine ohrenzerreißende Explosion der andern folgte.
Funkenschwärme sprühten zum Himmel empor und fielen langsam durch die glutroten
Rauchwolken wieder herunter. Ihr war, als hätte es von nebenan leise gerufen.
Aber sie achtete dessen nicht. Jetzt hatte sie keine Zeit mehr für Melanie,
sondern nur noch für die Angst, die ihr den Flammen gleich durch die Adern
züngelte. Sie glich einem zu Tode erschrockenen
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