Margaret Mitchell
stieß sie zur Küche, dann biß sie die Zähne
aufeinander und ging die Treppe hinauf. Es war schrecklich, Melanie beibringen
zu müssen, daß sie und Prissy die einzigen Helfer waren.
22
Einen so
langen, so heißen und unerträglichen Nachmittag erlebte sie gewiß nicht wieder.
Die Fliegen umschwärmten Melanie trotz Scarletts beständigem Fächeln. Der Arm
tat ihr weh von dem unaufhörlichen Schwenken des breiten Palmblattes. Alle Mühe
schien umsonst; kaum daß sie das Getier von Melanies feuchtem Gesicht
verscheucht hatte, krabbelte es ihr auf den schweißbedeckten Füßen und Beinen,
so daß sie zusammenzuckte und jammerte: »Bitte, am Fuß!«
Das Zimmer
lag im Halbdunkel, Scarlett hatte die Jalousien heruntergelassen, um Hitze und
Helligkeit fernzuhalten. Haarfeine Sonnenstrahlen drangen durch die schmalen
Ritzen herein. Dennoch glich das Zimmer einem Ofen. Scarletts Kleider wurden
vom Schweiß nicht mehr trocken, sondern von Stunde zu Stunde nasser und
klebriger. Prissy hockte schwitzend in einer Ecke und roch so abscheulich, daß
Scarlett sie aus dem Zimmer geschickt hätte, wenn sie nicht hätte befürchten
müssen, daß das Mädchen, ihr kaum aus den Augen, davonlaufen würde. Melanie lag
auf dem Laken voll dunkler Schweißund Wasserflecken und wälzte sich
unaufhörlich von einer Seite auf die andere. Manchmal versuchte sie, sich
aufzusetzen, sank wieder zurück und wälzte sich von neuem. Zuerst hatte sie
versucht, das Schreien zu unterdrücken, und sich auf die Lippen gebissen, bis
sie wund waren, aber Scarlett, deren Nerven nicht minder wund waren, hatte
heiser gesagt: »Melly, um Gottes willen, laß das Unterdrücken. Schrei, wenn dir
danach zumute ist. Niemand hört dich außer uns.«
Gegen
Mittag ließ Melanie, ob sie nun tapfer sein wollte oder nicht, ihrem Stöhnen
freien Lauf, und manchmal schrie sie auf. Dann ließ Scarlett den Kopf in die
Hände sinken und hielt sich die Ohren zu, wand sich vor Furcht und wünschte
sich selber den Tod. Lieber alles andere, als dies hilflos mit anzusehen, wenn
ein Mensch sich so quälte, nicht fort zu können und auf das Kind warten zu
müssen, das so lange auf sich warten ließ, und dabei standen die Yankees
vielleicht schon vor Five Points.
Inbrünstig
wünschte sie jetzt, sie hätte früher dem Getuschel der Frauen über Entbindungen
aufmerksamer zugehört. Dann wüßte sie heute, was zu tun sei und ob es noch
lange dauern würde oder nicht. Sie entsann sich dunkel eines Berichts von Tante
Pitty, wonach eine Freundin zwei Tage in Wehen gelegen hatte und dann gestorben
war, ohne daß das Kind zur Welt gekommen war. Sollte es denn mit Melanie zwei
Tage so weitergehen? Die Ärmste war zu zart, um dies noch zwei Tage lang
auszuhalten. Wenn das Kind nicht bald kam, konnte es sicher nicht lange mehr
mit ihr dauern. Wie aber sollte sie Ashley, falls er noch lebte, mit der
Nachricht unter die Augen treten, Melanie sei gestorben ... sie hatte ihm doch
versprochen, sich ihrer anzunehmen.
Zuerst
wollte Melanie Scarletts Hand halten, wenn es sehr weh tat, aber sie
umklammerte sie so fest, daß ihr die Knöchel schier zerbrechen wollten. Nach
einer Stunde waren Scarletts Hände so geschwollen, daß sie sie kaum noch
bewegen konnte. Sie knotete zwei lange Handtücher zusammen, befestigte sie am
Fußende des Bettes und gab Melanie den Knoten in die Hand. Melanie klammerte
sich daran, als sei es eine Rettungsleine, und zog sie abwechselnd straff, riß
daran und ließ sie wieder los. Den ganzen Nachmittag erklang ihre Stimme wie
die eines Tieres, das in einer Falle zugrunde geht. Manchmal ließ sie das
Handtuch fahren, rieb sich die Hände und schaute Scarlett mit angsterfüllten
Augen an.
»Erzähl
mir was, bitte, erzähl mir was«, hauchte sie. Scarlett schwatzte etwas vor sich
hin, bis Melanie von neuem nach dem Handtuchknoten griff und sich zu winden
begann.
Einmal kam
Wade auf Zehenspitzen die Treppe herauf und stand wehklagend draußen vor der
Tür: »Wade hungrig!«
Scarlett
erhob sich, um zu ihm hinauszugehen, aber Melanie flüsterte: »Bitte, laß mich
nicht allein, ich kann es nur aushalten, wenn du da bist.«
Scarlett
schickte Prissy hinunter, um dem Kind den Maisbrei vom Frühstück aufzuwärmen.
Sie selber hatte das Gefühl, nach diesem Nachmittag nie im Leben wieder einen
Bissen zu sich nehmen zu können. Die Uhr auf dem Kamin war stehengeblieben, sie
konnte nicht feststellen, wie spät es war, aber als die Hitze im Zimmer
nachließ und die
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