Margaret Mitchell
Heeren, unsere Truppen ziehen sich noch
in dichten Scharen aus Jonesboro zurück, sie nehmen Ihnen das Pferd ebenso
geschwind weg wie die Yankees. Die einzige Möglichkeit für Sie wäre noch, auf
der Straße nach McDonough den Truppen zu folgen und Gott zu bitten, daß Sie in
der Dunkelheit von niemandem gesehen werden. Nach Tara kommen Sie nicht, und
wenn Sie dorthin kämen, Sie fänden es wahrscheinlich schon abgebrannt vor. Nach
Hause lasse ich Sie nicht, das ist Wahnsinn.«
»Ich will
aber nach Haus!« kreischte sie. Ihre Stimme überschlug sich,
»Ich will
nach Hause, Sie können mich nicht halten! Ich will zu Mutter! Wenn Sie mich
festhalten, bringe ich Sie um! Ich will nach Hause, ich will nach Haus!«
Tränen
überströmten ihr Gesicht, als sie endlich der langen Anspannung erlag. Sie
schlug mit Fäusten um sich, trampelte auf den Fußboden und schrie immer wieder:
»Ich will, ich will, und wenn ich den ganzen Weg zu Fuß laufen muß!«
Plötzlich
lag sie in seinen Armen, die nasse Wange gegen die gestärkten Fältchen seines
Hemdes gelehnt, die geballten Fäuste gefangen an seiner Brust. Seine Hand
strich ihr sanft und beruhigend über das wirre Haar. Auch seine Stimme war
sanfter geworden, so still und allen Spottes bar, daß sie überhaupt nicht wie
Rhett Butlers Stimme klang, sondern einem gütigen, starken Freunde anzugehören
schien, der tröstlich nach Branntwein, nach Tabak und nach Pferden roch
tröstlich, weil es sie an Gerald erinnerte.
»Liebling«,
sagte er leise, »nicht weinen. Du sollst nach Hause, mein tapferes kleines
Mädchen, du sollst ja nach Hause, sei nun still.«
Sie spürte
eine Berührung auf ihrem Haar und dachte in all ihrem Aufruhr daran, ob es wohl
seine Lippen seien. So zärtlich und unendlich beruhigend war es, am liebsten
wäre sie für immer in seinen Armen geblieben. Er suchte in seiner Tasche, zog
ein Tuch hervor und trocknete ihr die Tränen.
»So, nun
putz dir die Nase wie ein artiges Kind«, befahl er mit einem Anflug von Lächeln
in den Augen. »Sag mir, was wir tun sollen. Wir müssen schnell handeln.«
Sie
zitterte noch ein wenig, aber ihr fiel nichts ein, was sie ihm auftragen könnte.
Er sah ihre bebenden Lippen und hilflosen Blicke und übernahm das Kommando.
»Mrs.
Wilkes hat ihr Kind bekommen? Dann ist es gefährlich, sie in den holpernden
Wagen zu stecken und fünfundzwanzig Meilen weit zu fahren. Wir täten besser
daran, sie bei Mrs. Meade zu lassen.«
»Meades
sind nicht zu Hause.«
»Gut, dann
kommt sie in den Wagen. Wo ist das dumme kleine Negermädel?«
»Prissy
ist oben und packt den Koffer.«
»Packt den
Koffer? In den Wagen können Sie keinen Koffer mitnehmen. Er ist zu klein, und
fast brechen ihm ohnehin schon die Räder. Rufen Sie Prissy, sie soll das
kleinste Federbett holen, das Sie im Hause haben, und in den Wagen legen.«
Immer noch
hatte Scarlett sich nicht beruhigt. Aber als er sie energisch am Arm packte,
war ihr zumute, als ginge etwas von seiner Lebenskraft in sie über. Könnte sie
doch alles ebenso kühl und leicht meistern wie er! Er schob sie vor sich her in
die Halle hinein, aber immer noch hingen ihre Blicke voller Hilflosigkeit an
ihm. Da zogen sich seine Mundwinkel spöttisch herunter. »Ist das die
heldenhafte junge Frau, die mir stolz versichert hat, sie fürchte weder Mensch
noch Gott?«
Plötzlich
brach er in ein lautes Gelächter aus und ließ sie los. Verletzt und haßerfüllt
starrte sie ihn an. »Ich fürchte«, sagte er, »Sie fallen in Ohnmacht, und ich
habe kein Riechsalz bei mir!«
Zornig
stampfte sie mit dem Fuß auf, weil ihr keine Erwiderung einfiel; dann ergriff
sie wortlos die Lampe und ging die Treppe hinauf. Er folgte ihr auf dem Fuße,
und sie hörte ihn leise in sich hineinlachen. Diese kleine Szene hatte ihr
wieder den Nacken gesteift. Sie ging in Wades Kinderzimmer und fand ihn, an
Prissy geklammert, halb angekleidet und mit seinem Schluckauf. Prissy wimmerte.
Wades Deckbett war das kleinste im Hause, und sie wies Prissy an, es in den
Wagen zu tragen. Prissy setzte das Kind nieder und gehorchte. Wade folgte ihr
die Treppe hinab; alles, was jetzt um ihn her vorging, nahm seine
Aufmerksamkeit so gefangen, daß sein Schluckauf ihm verging.
»Kommen
Sie«, sagte Scarlett und wandte sich zu Melanies Tür. Rhett folgte ihr mit dem
Hute in der Hand.
Melanie
lag ruhig da und hatte sich das Laken bis zum Kinn heraufgezogen. Ihr Gesicht
war totenbleich, aber die eingesunkenen, dunkel umränderten Augen
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