Margaret Mitchell
Nebel nach ihrem Rock, stumme, erbarmungslose
Geisterhände, um sie auf die unheimlich bebende Erde hinunterzuzerren. Dann war
ihr plötzlich bewußt, daß mitten im Undurchsichtigen um sie her irgendwo ein
Zufluchtsort war, der Hilfe, Wärme und Sättigung verhieß, ein Hafen, der Schutz
gewährte - aber wo? Konnte sie sich darein flüchten, ehe die Geisterhände sie
packten und in den Triebsand hineinrissen? Dann rannte sie wie toll durch den
Nebel, schreiend und kreischend. Sie streckte die Arme aus, aber faßte nur die
leere Luft und den feuchten Nebel. Wo war der sichere Hafen? Sie wußte, daß es
ihn gab, aber das Entsetzen lahmte ihr die Beine, und ihr wurde schwarz vor den
Augen. Sie stieß einen verzweifelten Schrei aus und erwachte und sah Melanie
besorgt über sich gebeugt und im Begriff, sie wachzurütteln.
Immer wenn
sie sich mit leerem Magen schlafen legte, kehrte ihr dieser Traum wieder. Es
geschah häufig genug. Es war so fürchterlich, daß ihr vor dem Einschlafen
bangte, obwohl sie sich krampfhaft einredete, ein Traum habe ja keine
Wirklichkeit und nichts Fürchterliches könne an ihm sein. Aber doch ängstigte
sie sich so, daß sie fortan bei Melanie schlief, die versprechen mußte, sie zu
wecken, sobald sie durch ihre Unruhe und ihr Gestöhn verriet, daß der Alpdruck
wieder nach ihr griff.
Dabei
wurde sie bleich und mager. Ihr Gesicht verlor alle liebliche Fülle. Die
Backenknochen traten hervor, die schrägen grünen Augen darüber sahen noch
schräger aus als sonst und gaben ihr etwas von einer hungrigen Katze auf der
Lauer.
Der Tag
war schon Alpdruck genug, auch ohne nächtliche Träume! Sie sparte fortan ihre
Tagesration auf, um sie kurz vor dem Schlafengehen zu essen.
Um
Weihnachten kam Frank Kennedy mit einer kleiner Truppe von der Intendantur auf
Tara vorbeigeritten, auf nutzloser Jagd nach Getreide und Vieh für das Heer
begriffen, eine zerlumpte Gesellschaft, die auf ihren keuchenden, kaum noch
dienstfähigen Pferden einer Räuberbande glich. Gleich den Tieren waren auch die
Männer als felddienstuntauglich aus der Front heimgeschickt worden; sie hatten
alle, außer Frank, einen Arm oder ein Auge verloren oder gingen mühsam mit
einem steifen Bein. Die meisten trugen die blauen Jacken gefangener Yankees,
und einen kurzen, entsetzlichen Augenblick lang meinte man auf Tara, Shermans
Soldaten seien wieder da.
Sie
übernachteten auf der Plantage und schliefen im Wohnzimmer auf dem Fußboden,
wohlig auf dem Plüschteppich ausgestreckt, denn seit Wochen hatten sie kein
Dach über dem Kopf und kein weicheres Lager gehabt als Kiefernzweige und den
harten Erdboden. Trotz ihrer schmutzigen Barte und ihrer Lumpen hatten sie
vollendete Manieren und verstanden es auf das angenehmste, eine leichte
Unterhaltung voller Scherze und Artigkeiten zu führen. Sie waren sehr froh, den
Weihnachtsabend in einem großen Hause unter hübschen Frauen, wie sie es früher
gewohnt waren, zu verleben. Sie lehnten es ab, ernsthaft über den Krieg zu
sprechen, tischten toll übertriebene Märchen auf, um die Mädchen zum Lachen zu
bringen, und zum erstenmal seit langer Zeit herrschte in dem kahlgeplünderten
Haus wieder eine freundliche, beinahe festliche Stimmung.
»Ist es
nicht fast wie früher?« tuschelte Suellen Scarlett zu. Daß sie wieder einen
eigenen Verehrer im Hause hatte, war der Höhepunkt des Glückes, und sie wandte
kein Auge von Frank Kennedy ab. Zu Scarletts Überraschung sah Suellen trotz der
Magerkeit, die ihr von der Krankheit zurückgeblieben war, beinahe hübsch aus.
Sie hatte gerötete Wangen und einen weichen, leuchtenden Blick in den Augen.
»Sie muß
ihn ja wohl wirklich gern haben«, dachte Scarlett voller Verachtung. »Ich
glaube, sie würde noch ganz umgänglich werden, wenn sie nur erst einen Mann
hätte, und wäre es der alte Umstandskrämer Frank!«
Auch
Carreen war etwas fröhlicher und sah nicht mehr wie eine Schlafwandlerin aus.
Sie hatte entdeckt, daß einer der Soldaten Brent Tarleton gekannt hatte und an
dem Tage, da er fiel, bei ihm gewesen war, und sie freute sich auf ein langes
Gespräch unter vier Augen nach Tisch.
Beim
Abendessen überraschte Melanie alle damit, daß sie ihre Schüchternheit überwand
und förmlich lebhaft wurde. Sie lachte und scherzte und unterhielt sich viel
mit einem einäugigen Soldaten, der es ihr bereitwillig mit übertriebener
Liebenswürdigkeit vergalt. Scarlett wußte, welche Gewalt Melanie sich antun
mußte, denn in männlicher Gegenwart
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