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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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litt sie Qualen der Schüchternheit.
Außerdem war ihr durchaus nicht wohl. Sie behauptete immer wieder, sie sei
vollkommen gesund, und arbeitete noch mehr als Dilcey, aber Scarlett wußte, daß
sie leidend war. Wenn sie etwas Schweres hob, wurde sie jedesmal blaß, und sie
hatte eine Art, nach einer Anstrengung auf einen Stuhl zu sinken, als versagten
ihr die Beine.
    Aber heute
tat sie wie Suellen und Carreen alles Erdenkliche, um den Soldaten einen
schönen Weihnachtsabend zu bereiten. Nur Scarlett hatte an den Gästen keine
Freude.
    Die Leute
steuerten ihre Ration gedörrten Mais und Fleisch zu dem Abendessen bei, das aus
getrockneten Erbsen, geschmorten Dörräpfeln und Erdnüssen bestand. Alle erklärten,
seit Monaten nicht so gut gegessen zu haben. Scarlett aber mißgönnte ihnen
jeden Bissen und saß wie auf Kohlen, denn Pork hatte am Tage vorher ein Ferkel
geschlachtet. Jetzt hing es in der Speisekammer, und ingrimmig hatte sie
gedroht, jedem die Augen auszukratzen, der vor den Gästen von dem Ferkel oder
seinen noch lebenden Geschwistern redete, die sicher in ihrem Verschlag
aufgehoben waren.
    Diese
hungrigen Männer würden das ganze Ferkel zu einer einzigen Mahlzeit verzehren.
Wenn sie etwas von den lebenden Schweinen erfuhren, konnten sie sie für das
Heer requirieren. Auch um die Kuh und das Pferd stand Scarlett Todesängste aus
und wünschte, sie im Wald versteckt zu haben, statt sie hinten auf der Weide
anzubinden. Wenn ihnen das Vieh fortgenommen wurde, konnte Tara nicht durch den
Winter kommen. Es gab kein Mittel, das Fehlende zu ersetzen. Wie das Heer sich
durchschlug, kümmerte sie nicht. Mochte das Heer sich selbst ernähren, wenn es
konnte. Sie hatte gerade genug Mühe, die Ihrigen durchzubringen.
    Zum
Nachtisch steuerten die Gäste aus ihren Tornistern einige »Ladestocksemmeln«
bei, und zum erstenmal sah Scarlett dieses Gebäck der Konföderierten, über das
beinahe ebensoviel gewitzelt wurde wie über die Läuse. Es waren verkohlt
aussehende Spiralen, scheinbar aus Holz, und die Männer forderten sie auf, als
erste davon abzubeißen, und als sie sich darauf einließ, fand sie unter der
rauchgeschwärzten Außenseite ungesalzenes Maisbrot. Die Soldaten mischten ihre
Maismehlration mit Wasser und, wenn sie es bekommen konnten, mit Salz,
wickelten den dicken Teig um ihren Ladestock und rösteten das Zeug am
Lagerfeuer. Es war hart wie Kandis und fade wie Sägemehl, und nach einem Bissen
gab Scarlett es unter dem Gelächter der Soldaten schleunigst zurück. Sie
begegnete Melanies Blicken, und in beider Gesicht stand deutlich der gleiche
Gedanke zu lesen: »Wie können sie bei solcher Ernährung nur kämpfen?«
    So verlief
die Mahlzeit recht lustig, und sogar Gerald, dem geistesabwesenden Hausherrn,
kamen aus der Tiefe seines getrübten Hirns einige gastfreundliche Gebärden und
ein unsicheres Lächeln. Die Männer unterhielten sich, die Frauen lachten ihnen
zu. Aber als Scarlett sich unvermittelt Frank Kennedy zuwandte, um ihn nach
Tante Pittypat zu fragen, bemerkte sie bei ihm einen Gesichtsausdruck, der ihr
die Worte in der Kehle steckenbleiben ließ. Seine Augen hingen nicht mehr an
Suellen, sondern schweiften im Zimmer umher, zu Geralds geistesabwesender
Miene, über den Fußboden, den kein Teppich mehr bedeckte, nach dem kahlen Kamin,
den eingesessenen Sprungfedern und zerrissenen Polsterungen, zum zersplitterten
Spiegel über der Anrichte, zu den dunklen Vierecken an der Wand, wo, ehe die
Plünderer gekommen waren, Bilder gehangen hatten, über das dürftige
Tafelgeschirr, die geflickten Kleider der Mädchen und den Kittel Wades, der aus
einem Mehlsack gemacht war. Frank gedachte des früheren Tara, und ein Zug
müden, ohnmächtigen Zorns entstellte sein Gesicht. Er liebte Suellen, hatte
ihre Schwestern gern, achtete Gerald und war der ganzen Plantage von Herzen
zugetan. Seitdem Sherman durch Georgia marschiert war, hatte Frank auf seinen
Ritten durch das Land vieles Schreckliche gesehen, aber nichts war ihm so zu
Herzen gegangen wie dies Tara. Er hätte so gern etwas für O'Haras getan, besonders
für Suellen, und vermochte es doch nicht. Als er Scarletts Blicken begegnete,
schüttelte er mitleidig den bärtigen Kopf, aber da sah er in ihren Augen die
Flamme empörten Stolzes und schlug die seinen verlegen auf den Teller nieder.
    Die
Mädchen lechzten nach Nachrichten. Seit Atlantas Fall vor vier Monaten war
keine Post mehr gekommen. Sie hatten nicht die geringste Vorstellung, wo

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