Margaret Mitchell
fähig.
»Du
brauchst nicht fortzugehen«, sagte sie mit klarer Stimme. »Ihr sollt nicht
verhungern, nur, weil ich mich dir an den Hals geworfen habe. Das kommt nicht
wieder vor.«
Sie drehte
sich um und schlug den Weg durch die unwirtlichen Felder nach Hause ein und
schlang ihr Haar im Nacken zu einem Knoten zusammen. Ashley sah ihr nach, wie
sie im Gehen die schmalen, mageren Schultern straffte, und das ging ihm tiefer
zu Herzen als alle Worte, die sie gesprochen hatte.
32
Immer noch
hielt sie den roten Erdklumpen in der Hand, als sie die Stufen zum vorderen
Hauseingang hinaufschritt. Die Tür auf der Rückseite des Hauses hatte sie
lieber vermieden, Mammys scharfe Augen hätten sofort erkannt, daß etwas nicht
in Ordnung war, und Scarlett wollte weder Mammy noch sonst jemanden sehen. Ihr
war, als könne sie es nicht ertragen, je wieder einen Menschen zu sehen oder
gar mit ihm zu sprechen. Von Scham, Enttäuschung und Bitterkeit empfand sie
nichts, nur die Schwäche in ihren Knien und die große Leere in ihrem Herzen.
Sie drückte den Lehm so fest, daß er ihr aus der geballten Faust durch die
Finger glitt, und wiederholte immer wieder, wie ein Papagei: »Dies habe ich
noch! Ja, dies habe ich noch!«
Sonst
hatte sie nichts mehr, nur noch dieses rote Land, das sie vor ein paar Minuten
hatte wegwerfen wollen wie ein zerrissenes Taschentuch, und nun war es ihr
plötzlich wieder lieb und teuer. Dumpf ging ihr die Frage durch den Kopf,
welcher Wahnsinn sie dazu getrieben haben könnte, es so gering zu achten. Hätte
Ashley eingewilligt, sie hätte mit ihm fortgehen und all die Ihren, ohne auch
nur einen Blick zurückzuwerfen, verlassen können. Aber sogar jetzt in ihrer
Herzensleere war ihr bewußt, daß es ihr das Herz zerrissen hätte, diese teuren
roten Hügel, die langen ausgewaschenen Wasserrinnen und die hohen schwarzen
Kiefern zu verlassen. Sehnsüchtig wären ihre Gedanken bis in ihre letzte Stunde
hierher zurückgekehrt. Nicht einmal Ashley hätte den Raum in ihrem Herzen ausfüllen
können. Wie weise war Ashley, wie gut kannte er sie! Er brauchte ihr nur die
feuchte Erde in die Hand zu drücken, um sie wieder zur Besinnung zu bringen.
Sie stand
im Flur und wollte gerade die Tür hinter sich schließen, als sie Hufschlag
vernahm und sich umdrehte, um die Auffahrt hinunterzublicken. Jetzt Besuch, das
war zuviel! Sie würde in ihr Zimmer laufen und vorgeben, sie hätte Kopfweh.
Aber als
sie den näher kommenden Wagen erblickte, regte sich ihre Neugier. Es war ein
nagelneuer, glänzend lackierter Wagen, auch das Geschirr mit seinen polierten
Messingbeschlägen war neu. Sicherlich Fremde. Niemand von ihren Bekannten hatte
Geld für eine so prachtvolle Aufmachung.
Sie stand
auf der Schwelle. Der eisige Zugwind wehte ihr die Röcke um die nassen Fußgelenke.
Da hielt der Wagen vor dem Hause, und Jonas Wilkerson stieg aus. Scarlett war
so überrascht, als sie ihren früheren Sklavenaufseher in einem so eleganten
Wagen und in einem so kostbaren Mantel sah, daß sie ihren Augen nicht trauen
wollte. Will hatte ihr erzählt, er sähe recht wohlhabend aus, seitdem er den
neuen Posten in der Befreiungsbehörde habe. Eine Menge Geld hätte er gemacht,
sagte Will. Hätte die Neger oder die Regierung oder alle beide beschwindelt,
den Leuten die Baumwolle beschlagnahmt mit der Begründung, sie gehöre der
konföderierten Regierung. Auf redliche Weise war er in dieser schweren Zeit
sicher nicht zu all dem Gelde gekommen.
Da war er
nun, stieg aus dem Wagen und half einer übermäßig aufgeputzten Frau heraus. Auf
den ersten Blick sah Scarlett, daß die Farbe des Kleides für eine Dame viel zu
grell war, aber trotzdem verschlang sie es mit den Blicken. Es war schon so
lange her, daß sie moderne teure Kleider gesehen hatte. Die Reifen wurden also
dieses Jahr weniger weit getragen? Sie sah sich das Kleid aus rotem Plaidstoff
und den schwarzen Samtmantel genau an. Wie kurz er war! Und was für ein Hut!
Die Hauben waren offenbar nicht mehr Mode. Dieser Hut war etwas lächerlich
Flaches aus rotem Samt, das der Frau hoch oben auf dem Kopf thronte wie ein
steifgefrorener Pfannkuchen. Die Bänder schlossen nicht wie früher unter dem
Kinn, sondern hinten unter dem dicken Lockenschopf, der aus dem Hut hervorquoll
und weder in der Farbe noch in seiner Beschaffenheit zu dem übrigen Haar paßte.
Als diese
Frau ausstieg und zum Hause hinaufblickte, entdeckte Scarlett in dem von Puder
starren Kaninchengesicht eine Bekannte.
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