Margaret Mitchell
Angehörigen, eine sorgenlose
Zukunft.«
Sie fühlte
sich uralt. Die Ereignisse des Nachmittags hatten alles Gefühl in ihr ersterben
lassen. Zuerst die Nachricht von der Steuerforderung, dann die Stunde mit
Ashley und schließlich Jonas Wilkerson. Ihr Gemüt war tot. Wäre nicht alle
Empfindung in ihr erschöpft gewesen, so hätte etwas in ihr sich dagegen
gewehrt, daß dieser Plan in ihrem Geiste Gestalt gewann. Sie haßte ja Rhett wie
niemand anderen auf der Welt. Aber sie empfand nichts, sie konnte nur denken,
und ihre Gedanken waren sehr praktischer Art.
»Ich habe
ihm schreckliche Dinge gesagt an dem Abend, da er uns auf der Landstraße
sitzenließ, aber er soll es schon vergessen«, dachte sie verächtlich im
Vollgefühl ihres Zaubers. »Er muß den Eindruck gewinnen, ich hätte ihn immer
geliebt und mich in jener Nacht nur vor ihm gefürchtet. Ach, die Männer sind ja
so eingebildet, sie glauben alles, was ihnen schmeichelt ... Er darf nicht
ahnen, wie schlecht es uns geht, nicht eher, als bis ich ihn habe. Nein, er
darf es nicht erfahren. Wenn er je dahinterkommt, wie arm wir sind, so weiß er
gleich, daß ich sein Geld will und nicht ihn. Aber er kann ja auch gar nichts
von unserer Not wissen. Nicht einmal Tante Pirty weiß ja, wie es wirklich um
uns steht, und wenn ich ihn erst geheiratet habe, muß er uns allen helfen. Er
kann doch die Familie seiner Frau nicht verhungern lassen.«
Seine
Frau. Mrs. Rhett Butler. Ein kleiner Widerwille regte sich tief unter dem
kalten Denken, regte sich schwach und wurde zur Ruhe gebracht. Die peinlichen,
abstoßenden Geschehnisse in den kurzen Flitterwochen mit Charles, seine
suchenden, ungeschickten Hände, das Unbegreifliche, was er dabei empfand - und
Wade Hamilton.
»Ich will
jetzt nicht daran denken. Darüber zerbreche ich mir den Kopf, wenn ich ihn
geheiratet habe.«
Wenn ich
ihn geheiratet habe. In ihrem Gedächtnis schlug eine Glocke. Kalt überlief es
sie. Wieder sah sie sich in jener Nacht vor Tante Pittys Haustür sitzen, hörte
sich fragen, ob er ihr einen Antrag mache, und entsann sich seines unausstehlichen
Lächelns, mit dem er sagte: »Heiraten, mein Kind, liegt mir nicht.«
Wenn er
sich nun all ihren Reizen und Listen zum Trotz weigerte, sie zu heiraten? Wenn
er ... wenn er sie völlig vergessen hatte und hinter einer anderen Frau her
war?
»Ich begehre
dich mehr, als ich je eine Frau begehrt habe ...«
Scarlett
ballte die Fäuste, bis ihr die Nägel ins Fleisch drangen. »Wenn er mich
vergessen hat - er soll sich meiner wieder erinnern und mich von neuem
begehren.«
Und wenn
er sie nicht heiraten und doch haben wollte, so gab es immer noch einen Weg, zu
dem Gelde zu kommen. Er hatte sie ja einmal gefragt, ob sie nicht seine
Geliebte werden wollte.
Im grauen
Dämmerlicht des Wohnzimmers kämpfte sie einen raschen entscheidenden Kampf mit
den drei Bindungen, die ihre Seele am festesten hielten: mit der Erinnerung an
Ellen, mit den Lehren ihrer Religion und mit ihrer Liebe zu Ashley. Sie wußte,
was sie jetzt vorhatte, mußte ihrer Mutter auch in dem fernen Himmel, wo sie
nun weilte, ein Gram sein. Sie wußte, Unzucht war eine Todsünde. Sie wußte, bei
ihrer Liebe zu Ashley war ihr Vorhaben in doppeltem Sinne Prostitution.
Aber all
das ging unter in der erbarmungslosen Kälte ihres Verstandes, in der Hölle
ihrer Verzweiflung. Ellen war tot, und vielleicht gab der Tod Verständnis für
alles. Die Religion verbot Unzucht bei Strafe des höllischen Feuers - aber wenn
die Kirche glaubte, sie ließe irgend etwas ungetan, womit sie Tara retten und
ihre Familie vor dem Hunger bewahren konnte ... nun, da mochte die Kirche zusehen.
Sie selbst würde sich jedenfalls keine Sorgen darum machen, wenigstens
vorläufig nicht. Und Ashley? Ashley wollte sie ja nicht. Nein, nein! Sein
heißer Kuß sagte das Gegenteil! Aber er würde nie mit ihr davonlaufen,
irgendwohin ... Sonderbar, mit Ashley davonzulaufen, erschien ihr nicht als
Sünde, aber mit Rhett ...
In der
trüben Winterdämmerung langte sie am Ende des mühseligen Weges an, den sie in
der Nacht, da Atlanta fiel, angetreten hatte. Als verwöhntes, selbstsüchtiges
Kind hatte sie sich damals aufgemacht in der Fülle der Jugend und des Gefühls,
sehr ratlos noch vor dem Leben. Jetzt am Ende des Weges war von diesem Kinde
nichts mehr übrig. Hunger und harte Arbeit, Angst und beständige Anspannung,
die Schrecken des Krieges und die Schrecken des Wiederaufbaus hatten alle
Wärme, alle Jugend, alle
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