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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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streichelte das zerbrochene weiße Geländer. Dann
öffnete sie die Haustür. Drinnen war es dunkel und kalt wie in einer Gruft. An
der geschlossenen Flügeltür, die einst zum Eßzimmer geführt hatte, lehnte ein
Wachtposten.
    »Ich
möchte den Hauptmann sprechen«, sagte sie.
    Er schlug
die Türen auseinander, und klopfenden Herzens, rot vor Verlegenheit und
Aufregung, trat sie ein. Ein dumpfer, muffiger Geruch von Feuerqualm,
Tabakdunst, Leder, Staub und Schweiß erfüllte das Zimmer. Sie hatte einen
verworrenen Eindruck von nackten Wänden mit zerrissenen Tapeten, einer Reihe
von blauen Überröcken und weichen Filzhüten, die an Nägeln hingen, einem
prasselnden Feuer, einem langen Tisch mit Papieren und einer Gruppe von
Offizieren in blauen Uniformen mit Messingknöpfen.
    Sie
schluckte. Dann hatte sie ihre Stimme wiedergefunden. Die Yankees durften nicht
merken, daß sie Angst hatte. Sie mußte so hübsch und unbekümmert wie nur
möglich wirken.
    »Sie
wünschen?« sagte ein dicker Mann mit aufgeknöpftem Waffenrock.
    »Ich
möchte einen Gefangenen besuchen, Kapitän Rhett Butler.«
    »Schon
wieder Butler! Der Mann ist aber beliebt!« lachte der Hauptmann und nahm einen
Zigarrenstummel aus dem Mund. »Sie sind mit ihm verwandt, Miß?«
    »Ja, seine
Schwester.«
    Er lachte
laut. »Hat der aber eine Menge Schwestern! Gestern war auch eine hier.«
    Scarlett
errötete. Eins von den Frauenzimmern, mit denen Rhett Umgang hatte,
wahrscheinlich die Watling. Die Yankees dachten, sie wäre auch so eine. Es war
unerträglich. Selbst nicht für Tara wollte sie noch eine Minute länger
hierbleiben und sich beleidigen lassen. Sie wandte sich zur Tür und ergriff
zornig den Drücker, aber sogleich stand ein anderer Offizier neben ihr, glatt
rasiert und jung, mit freundlichen, vergnügten Augen.
    »Einen
Augenblick, gnädige Frau. Wollen Sie sich nicht hier ans Feuer setzen? Da ist
es schön warm. Ich sehe einmal zu, was sich tun läßt. Wie ist Ihr Name? Die
Dame, die gestern vorsprach, hat er nicht empfangen wollen.«
    Scarlett
sank in den angebotenen Stuhl, starrte den dicken Hauptmann an und nannte
schließlich ihren Namen. Der nette junge Offizier schlüpfte in seinen Mantel
und verließ das Zimmer. Dankbar streckte sie die Füße ans Feuer und spürte zum
erstenmal, wie kalt sie waren. Hätte sie doch, wie sie es eigentlich vorhatte,
in den einen Schuh ein Stück Pappe über das Loch in der Sohle gelegt. Nach
einer Weile hörte sie Stimmen vor der Tür, dazwischen Rhetts Lachen. Die Tür
öffnete sich, ein kalter Zug fegte durchs Zimmer, und Rhett erschien, ohne Hut,
einen langen Mantelkragen lässig über die Schultern geworfen. Er war schmutzig
und unrasiert und ohne Krawatte. Aber trotz dieses vernachlässigten Äußeren
hatte er immer noch etwas Flottes an sich, und seine dunklen Augen blickten
freudig, als er sie sah.
    »Scarlett!«
Mit beiden Händen hielt er ihre Hände gefaßt, und wie immer hatte sein Druck
etwas Erwärmendes, Belebendes und Erregendes. Ehe sie sich's versah, hatte er
sich niedergebeugt und ihr die Wange geküßt. Als sie vor ihm zurückschreckte,
strich er ihr zärtlich über die Schultern und sagte »meine süße kleine
Schwester!« und lachte zu ihr hernieder, als weidete er sich daran, weil sie
seine Zärtlichkeit hilflos über sich ergehen lassen mußte. Sie mußte ihm zulächeln,
ob sie wollte oder nicht, als er die Lage so auszunutzen verstand. Was für ein
Halunke er doch war! Das Gefängnis hatte ihn nicht eine Spur verändert.
    Der fette
Hauptmann mit der Zigarre im Mund knurrte den jungen Offizier mit den lustigen
Augen an: »Ganz gegen die Vorschrift. Er sollte im Spritzenhaus bleiben. Sie
kennen die Befehle.«
    »Ach, um
Himmels willen, Henry! Die Dame erfröre uns ja in der Scheune da.«
    »Schon
gut, aber auf Ihre Verantwortung!«
    »Ich
versichere Ihnen, meine Herren«, sagte Rhett und wendete sich zu den
Offizieren, ließ aber Scarletts Schultern nicht los, »meine Schwester hat mir
keine Sägen und Feilen für einen Fluchtversuch mitgebracht.«
    Alles
lachte, und Scarlett sah sich rasch um. Gott im Himmel, sollte sie sich vor
sechs Yankeeoffizieren mit Rhett Butler unterhalten? War er ein so gefährlicher
Häftling, daß sie ihn nicht aus den Augen lassen durften? Der junge Offizier
fing ihren enttäuschten Blick auf, öffnete eine Tür und sprach leise mit zwei
Soldaten, die bei seinem Eintritt aufsprangen. Sie nahmen ihre Gewehre und
traten auf den Flur hinaus.
    »Wenn

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