Margaret Mitchell
Sie
wünschen, können Sie sich ins Ordonnanzzimmer setzen«, sagte der junge Offizier,
»aber versuchen Sie nicht etwa, durch jene Tür auszureißen. Die Leute stehen
draußen davor.«
»Du
siehst, was für ein gefährlicher Patron ich bin, Scarlett«, sagte Rhett. »Es
ist sehr freundlich von Ihnen, Herr Hauptmann.«
Er
verbeugte sich nachlässig, nahm Scarletts Arm, zog sie vom Stuhl empor und
schob sie in das Ordonnanzzimmer. Nie erinnerte sie sich später daran, wie dies
Zimmer ausgesehen hatte, nur, daß es eng, halbdunkel und nicht sonderlich warm
war, daß beschriebenes Papier an den schadhaften Wänden klebte und die Stühle
Sitze aus Kuhfellen hatten.
Als Rhett
die Tür hinter sich geschlossen hatte, trat er rasch auf sie zu und beugte sich
über sie. Sie merkte seine Absicht und wandte flink den Kopf weg, lächelte ihn
aber aus den Augenwinkeln vieldeutig an.
»Darf ich
dich jetzt wirklich nicht küssen?«
»Auf die
Stirn, wie ein guter Bruder«, antwortete sie sittsam.
»Nein,
besten Dank. Dann warte ich lieber und hoffe auf Besseres.« Seine Augen suchten
ihre Lippen und weilten einen. Augenblick darauf. »Aber wie lieb von Ihnen,
mich zu besuchen! Sie sind der erste ehrbare bürgerliche Mensch, der seit
meiner Einkerkerung zu mir kommt, und im Gefängnis lernt man Freunde schätzen.
Wann sind Sie in die Stadt gekommen?«
»Gestern
nachmittag.«
»Und heute
früh sind Sie schon hier? Ach, das ist ja mehr als lieb!« Er lächelte zu ihr
nieder, und zum erstenmal sah sie den Ausdruck echter, herzlicher Freude auf
seinem Gesicht. Innerlich bebte Scarlett vor Aufregung und senkte wie in
Verlegenheit den Kopf.
»Natürlich
bin ich sofort gekommen. Tante Pitty hat mir gestern abend von Ihnen erzählt.
Ich ... ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, immer mußte ich daran
denken, wie schrecklich es ist. Ach, Rhett, ich bin ja so unglücklich!«
»Aber
Scarlett!« Es klang weich, und es lag ein bebender Unterton darin, und als sie
in sein dunkles Gesicht sah, war von der zynischen Lustigkeit, die sie so gut
an ihm kannte, nichts mehr darin zu finden. Vor seinem unverhüllten Blick
senkte sie von neuem die Lider, dieses Mal in echter Verwirrung.
»Es ist
schon der Mühe wert, im Gefängnis zu sitzen, wenn man Sie so plötzlich
wiedersieht und so sprechen hört. Ich wollte meinen Ohren nicht trauen, als man
mir Ihren Namen meldete. Sehen Sie, ich hatte nicht erwartet, daß Sie mir meine
patriotische Anwandlung an dem Abend auf der Landstraße bei Rough and Ready
verzeihen könnten, aber dies heißt doch, daß Sie mir wirklich verziehen haben?«
Wieder,
selbst nach so langer Zeit, regte sich der Zorn in ihr, als sie sich jener Nacht
entsann, aber sie unterdrückte ihn und warf den Kopf zurück, daß die Ohrringe
tanzten.
»Nein, ich
habe Ihnen nicht verziehen«, sagte sie.
»Wieder
eine Hoffnung dahin. Und das, nachdem ich mich meinem Vaterlande zur Verfügung
gestellt und barfuß im Schnee bei Franklin gekämpft und mir für meine Mühe die
schönste Ruhr geholt habe, die Sie sich vorstellen können.«
»Davon
will ich nichts hören«, erwiderte sie und lächelte ihn dazu aus ihren schrägen
Augen an. »Ich finde immer noch, daß Sie an jenem Abend scheußlich gegen mich
gewesen sind, und werde es Ihnen wohl nie verzeihen. Was hätte mir alles
zustoßen können!«
»Aber es
ist Ihnen ja nichts zugestoßen. Mein Vertrauen auf Sie war berechtigt. Ich
wußte, Sie würden glücklich nach Hause kommen, und wehe dem Yankee, der Ihnen
in den Weg geraten wäre.«
»Rhett,
warum in aller Welt sind Sie noch in letzter Minute in den Krieg gegangen, da
Sie doch wußten, daß es alles umsonst war! Haben Sie nicht immer über die
Narren gespottet, die hinausgingen und sich totschießen ließen?«
»Scarlett,
verschonen Sie mich, ich schäme mich noch jetzt halbtot, wenn ich daran denke.«
»Es ist
gut, wenn Sie sich schämen, mich so behandelt zu haben.«
»Das ist
ein Mißverständnis. Nicht darum plagt mich mein Gewissen, daß ich Sie damals
verlassen habe. Aber daß ich dann in den Krieg zog! Wenn ich daran denke, wie
ich in Lackstiefeln und weißem Leinenanzug, nur mit einem Paar Duellpistolen
zur Armee ging, alle die Meilen in der Kälte und im Schnee, bis meine Stiefel
durchlöchert waren und ich keinen Mantel mehr hatte und nichts zu essen! Ich
begreife nicht, daß ich nicht desertierte. Es war der reine Wahnsinn. Aber das
liegt einem im Blut. Einer verlorenen Sache kann keiner vom Süden
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