Margaret Mitchell
sie her. Ihr Samtkleid wurde verdorben,
die Schwanzfeder auf dem Hut hing triefend herab, als hätte ihr ursprünglicher
Besitzer sie durch den nassen Hühnerhof von Tara geschleift. Die Platten des
Fußsteiges waren zerbrochen und stellenweise überhaupt nicht mehr vorhanden.
Dort watete sie bis über die Knöchel Schlamm. Ihre Schuhe blieben darin
stecken, als sei es Leim. Manchmal verlor sie einen. Wenn sie sich bückte, um
ihn wieder anzuziehen, geriet der Saum ihres Kleides in den Schmutz. Dann
versuchte sie nicht mehr, den Pfützen aus dem Wege zu gehen, sondern trat
stumpfsinnig hinein und ließ den Rock hinter sich herschleifen. Der nasse
Unterrock und die Hosen schlugen ihr kalt um die Knöchel, aber nun machte es
nichts mehr, daß das Kleid, von dem sie so viel erwartet hatte, hin war.
Wie konnte
sie je nach Tara zurückkehren! Wie konnte sie allen dort unter die Augen treten
und ihnen sagen, daß sie samt und sonders fort mußten, Gott weiß wohin? Wie
sollte sie sich von alledem trennen, den roten Feldern, den hohen Kiefern, den
sumpfigen Weiden und dem stillen Friedhof, wo Ellen im Schatten der Zedern lag?
Der Haß
gegen Rhett brannte ihr im Herzen. Ja, der Galgen war noch zu gut für ihn! Gott
sei Dank, er konnte sie jetzt in ihren triefenden Kleidern, mit dem halb
aufgelösten Haar und ihren klappernden Zähnen nicht sehen. Wie häßlich mußte
sie aussehen. Wie würde er sie auslachen!
Die Neger,
an denen sie vorbeikam, grinsten ihr unverschämt ins Gesicht und stießen sich
laut lachend an, wenn sie im Schmutz ausglitt oder stehenblieb, um sich den Schuh
wieder anzuziehen. Wie durften sie sich unterstehen zu lachen, diese schwarzen
Affen! Wie durften sie sich unterstehen, eine Scarlett O'Hara so frech
anzugrinsen. Mit Wonne hätte sie sie alle auspeitschen lassen, bis ihnen das
Blut den Rücken hinablief. Die Yankees waren verrückt, daß sie diesen Leuten
die Freiheit gaben, die Freiheit, sich über Weiße lustig zu machen.
Als sie
die Washingtonstraße hinunterging, war alles um sie herum ebenso trübselig wie
ihr eigenes Herz. Hier war nichts von dem fröhlich geschäftigen Treiben, das
ihr in der Pfirsichstraße aufgefallen war. Viele schöne Häuser hatten hier
einst gestanden, aber nur wenige waren wieder aufgebaut worden. Verräucherte
Fundamente und einsame schwarze Schornsteine, die man jetzt »Shermans Wachtposten«
nannte, tauchten bedrückend oft auf. Grasbewachsene Gartenwege führten zu den
Ruinen der Hauser hinauf, frühere Rasen waren von welkem Unkraut ganz
zugedeckt, auf den Prellsteinen standen noch die wohlbekannten Namen, an den
Pfählen daneben aber würde nun nie wieder ein Pferd angebunden werden. Kalter
Wind und eisiger Regen, Straßenschlamm und kahle Bäume, trostlose Öde und
Stille. Ihre Füße waren so naß, und bis nach Hause war es so weit!
Hinter
sich hörte sie Pferdehufe durch die Pfützen patschen. Ein Pferd mit einem
Einspänner kam langsam die Straße herauf. Als sie sich umdrehte, sah sie den
Fahrer nur eben über die Schutzdecke hervorschauen, die vom Spritzbrett bis an
sein Kinn reichte. Das Gesicht kam ihr bekannt vor, und plötzlich hörte sie ein
verlegenes Räuspern, und eine vertraute Stimme rief sie an: »Das kann doch
unmöglich Miß Scarlett sein!«
»Ach, Mr.
Kennedy! Mein Lebtag habe ich mich nicht so gefreut, jemanden zu treffen.« Er
wurde rot vor Vergnügen bei der unzweifelhaften Aufrichtigkeit ihrer Worte,
entledigte sich rasch eines Stromes von Tabaksaft nach der anderen Seite des
Wagens, sprang hurtig heraus, schüttelte ihr begeistert die Hand und half ihr
in den Wagen.
»Miß
Scarlett, was machen Sie denn ganz allein hier in dieser Gegend?
Wissen Sie
nicht, wie gefährlich das heutzutage ist? Und wie durchnäßt Sie sind! Wickeln
Sie sich diese Decke um die Füße.«
Während er
sich um sie bemühte, gab sie sich dem schwelgerischen Genüsse hin, jemanden für
sich sorgen zu lassen. Es tat so gut, auch wenn es nur eine alte Jungfer in
Hosen war wie Frank Kennedy. Besonders beruhigend wirkte es nach Rhetts Roheit.
Wie wohl es tat, ein Gesicht aus der Provinz zu sehen, wenn sie so fern vom
Hause weilte! Ihr fiel auf, wie gut er angezogen war, und auch sein Einspänner
war neu. Das Pferd sah jung und wohlgenährt aus, aber Frank schien alt für
seine Jahre geworden zu sein, älter als damals am Weihnachtsabend auf Tara. Er
war gelb im Gesicht und mager, seine Augen waren trübe und lagen tief in den
losen Falten seines Gesichts. Sein
Weitere Kostenlose Bücher