Margaret Mitchell
»Was
sollen wir gegen solche Lumpen machen, die einen Kerl wie Tony aufhängen
wollen, nur weil er einen betrunkenen Nigger und einen weißen Schuft umgebracht
hat, um die Frauen seiner Familie zu beschützen. Es ist nicht zu ertragen!« Sie
erbebte, zum erstenmal in ihrem Leben sah sie Menschen und Ereignisse von ihrer
eigenen Person losgelöst und erkannte, daß es nicht allein auf die
verängstigte, hilflose Scarlett ankam. Im ganzen Süden waren Tausende von
Frauen in der gleichen Lage wie sie, und Tausende von Männern, die bei
Appomattox die Waffen niedergelegt hatten, waren entschlossen, sie wieder zu ergreifen
und zum Schutz ihrer Frauen auf der Stelle das Leben zu wagen.
In Tonys
Gesicht hatte etwas gelegen, dessen Abglanz sie auch auf Franks Mienen und
neuerdings bei noch mehr Männern in Atlanta wahrgenommen hatte, ohne daß sie
sich überlegt hatte, was es bedeute. Es war ein anderer Ausdruck als die
hilflose Müdigkeit, die nach der Kapitulation auf den Gesichtern der
Heimkehrenden gelegen hatte. Die gelähmten Nerven all dieser Männer wurden
wieder lebendig. Der alte Geist erwachte von neuem. Sie nahmen sich die
Ereignisse wieder zu Herzen, mit kalter, erbarmungsloser Bitterkeit, und
dachten wie Tony: »Es ist nicht zu ertragen!«
In den
Gesichtern der beiden Männer, die jetzt eben über die Kerzenflamme hinweg
einander ins Auge blickten, hatte sie etwas gelesen, was ihr Mut und Angst
zugleich machte: den Zorn, der keine Worte fand, und die Entschlossenheit, die
vor nichts zurückschreckt.
Zum ersten
Male fühlte sie sich mit ihren Landsleuten verbunden, einig in ihren
Befürchtungen, ihrer Bitterkeit und ihrer Entschlossenheit. Nein, es war nicht
zu ertragen. Der Süden war zu schön, als daß er kampflos preisgegeben werden
durfte. Die Yankees sollten ihn nicht zertrampeln. Er durfte nicht an
unwissende Neger, die von Whisky und Freiheit besoffen waren, ausgeliefert
werden.
Als
Scarlett an Tonys plötzliche Ankunft und raschen Abschied dachte, fiel ihr die
alte Geschichte von Gerald wieder ein, der nach einem Mord, welcher für ihn und
die Seinen kein Mord war, bei Nacht und Nebel aus Irland hatte fliehen müssen.
Geralds leidenschaftliches Blut strömte auch durch ihre Adern, und sie
erinnerte sich der heißen Wonne, mit der sie den marodierenden Yankee
niedergeschossen hatte. Gewalttat lag ihnen allen im Blut, gefährlich dicht
unter der Oberfläche, unmittelbar unter dem liebenswürdigen, verbindlichen
Äußeren. Alle Männer, die sie kannte, waren im Grunde so, sogar Ashley mit
seinen verträumten Augen und sogar der zimperliche alte Frank. Gewalttätig und
mordlustig waren sie, wenn es darauf ankam. Auch Rhett, der gewissenlose
Taugenichts, hatte einen Neger erschlagen, weil er unverschämt gegen eine Frau
gewesen war.
Als Frank
hustend und triefend vor Nässe hereinkam, sprang sie auf. »Ach, Frank, wie
lange soll das noch dauern?«
»Solange
uns die Yankees drangsalieren.«
»Kann denn
niemand etwas dabei tun?«
Frank
strich sich mit müder Hand über den nassen Bart. »Es geschieht schon etwas.«
»Was
denn?«
»Warum
davon reden, ehe wir etwas erreicht haben? Vielleicht dauert es jahrelang,
vielleicht bleibt es im Süden immer so.«
»Nein,
nein!«
»Liebling, komm ins Bett, dich
friert, du zitterst ja.«
»Wann wird das alles anders?«
»Wenn wir
alle wieder stimmen können. Wenn jeder, der für den Süden gekämpft hat, schien
Wahlzettel für einen Südstaatler und Demokraten abgeben kann.«
»Einen
Wahlzettel?« Sie war verzweifelt. »Was hilft denn ein Wahlzettel, wenn die
Schwarzen verrückt werden, weil die Yankees ihnen das Herz gegen uns
vergiften!«
Frank fuhr
geduldig in seinen Erklärungen fort, aber der Gedanke, daß Wahlzettel der Not
abhelfen sollten, war zu verwickelt, als daß sie ihm folgen konnte. Voller
Dankbarkeit überlegte sie sich, daß Jonas Wilkerson ihnen nun nie wieder auf
Tara das Leben zur Hölle machen konnte, und dachte an Tony. »Die armen
Fontaines! Nun ist nur noch Alex da, und auf Mimosa gibt es so viel Arbeit.
Warum hatte Tony nicht soviel Verstand, es nachts und heimlich zu tun! Er
könnte sich daheim bei der Frühjahrsbestellung viel nützlicher machen als in
Texas.«
Frank
legte den Arm um sie. Gewöhnlich tat er es zaghaft, als wüßte er im voraus, daß
er ungeduldig abgewehrt werden würde. Aber heute nacht hatten seine Augen einen
fernen Blick, und sein Arm umfaßte sie fest.
»Liebling,
es gibt Dinge, die wichtiger sind als das
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