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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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sie nicht, denn
sie wagte nichts über Tonys mitternächtliches Auftauchen nach Tara zu
schreiben. Ihre Briefe konnten von den Yankees abgefangen werden und auch über
die Plantage Unheil bringen. Als aber Woche um Woche verging und sie keine
schlechten Nachrichten bekam, sagte sie sich, Ashley müsse mit heiler Haut
davongekommen sein. Schließlich hörten die Yankees auf, sie zu belästigen.
    Aber auch
diese Erleichterung befreite Scarlett nicht von dem Grauen, das über sie
gekommen war, als Tony an ihre Tür klopfte; es war schwerer zu ertragen als die
Angst vor den Granaten bei der Belagerung oder vor Shermans Soldaten in der
letzten Zeit des Krieges. Es war, als hätte Tonys Auftauchen in der wilden
Regennacht ihr eine Binde von den Augen genommen und sie gezwungen, der wahren,
unablässigen Gefährdung ihres Lebens ins Gesicht zu sehen.
    Wenn
Scarlett sich in diesem kalten Frühling des Jahres 1866 in ihrer Umgebung
umsah, wurde ihr klar, was dem ganzen Süden bevorstand. Sie mochte schwerer
arbeiten, als je ihre Sklaven es getan hatten, sie mochte durch ihre eigene
Entschlossenheit Schwierigkeiten überwinden, für die ihr vergangenes Leben ihr
keinerlei Rüstzeug mitgegeben hatte, dennoch konnte das wenige, was sie so
schwer errungen hatte, ihr jeden Augenblick wieder entrissen werden. Es gab für
sie keine gesetzliche Hilfe, keine Instanz, wo sie ihr Recht verlangen konnte,
außer den Standgerichten mit ihrer schrankenlosen Willkür. Nur für die Neger
gab es noch Gesetz und Recht. Der Süden lag vor den Yankees im Staub, und dabei
sollte es bleiben. Es war, als habe eine boshafte Riesenhand dieses Land
niedergeworfen, und die Herren von einst waren hilfloser, als ihre früheren
Sklaven je gewesen waren.
    In Georgia
lag eine starke Besatzungsarmee, und Atlanta hatte seinen reichlichen Anteil
daran. Überall hatten die Befehlshaber der Truppen vollkommene Macht über die
bürgerliche Bevölkerung, ja die Macht über Leben und Tod, und sie machten davon
Gebrauch. Sie konnten die Bewohner für jedes Vergehen und auch ohne Vergehen
gefangensetzen, ihr Vermögen einziehen und sie aufhängen. Sie konnten sie mit
einander widersprechenden Verordnungen bis aufs Blut peinigen, mit Anweisungen
über ihren Geschäftsbetrieb, über die Löhne, die sie zu zahlen hatten, darüber,
was sie öffentlich oder zu Hause sagen und in ihren Zeitungen schreiben
durften. Sie schrieben vor, wann und wo sie ihren Müll abzuladen hatten, sie
entschieden darüber, welche Lieder die Töchter und Frauen der Besiegten singen
durften, und das Anstimmen von »Dixie« oder der »Schönen blauen Flagge« war ein
Vergehen, das kaum leichter wog als Verrat. Sie verfügten, daß keiner, der
nicht den Treueid geleistet hatte, einen Brief durch die Post bekommen konnte,
und hin und wieder kam es auch zu Heiratsverboten, wenn die Paare den verhaßten
Eid nicht geschworen hatten. Alle diese Verordnungen wurden auf das strengste
gehandhabt.
    Die
Zeitungen wurden so scharf beaufsichtigt, daß öffentlich nicht gegen die
Ungerechtigkeit und Räubereien des Militärs Verwahrung eingelegt werden konnte,
und wenn ein einzelner sich zur Wehr setzte, stand Gefängnis darauf. In den
Gefängnissen wimmelte es von angesehenen Bürgern, und sie blieben dort ohne
jede Hoffnung auf baldige Aburteilung. Die Geschworenengerichte und die
Habeas-Corpus-Akte waren praktisch außer Kraft gesetzt. Die Zivilgerichte
arbeiteten noch, aber unter der Aufsicht des Militärs, das in den Rechtsgang
nach Belieben eingreifen konnte, und Bürger, die das Unglück hatten, verhaftet
zu werden, waren dem Militär auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Der bloße Verdacht,
sich aufsässig gegen die Regierung geäußert zu haben oder am Ku-Klux-Klan
beteiligt zu sein, die Klage eines Negers, der sich von einem Weißen von oben
herab behandelt fühlte, genügten, einen Angeschuldigten ins Gefängnis zu
bringen. Beweise und Zeugenaussagen wurden nicht verlangt. Die Anklage allein
genügte. Und dank der Hetze der Freilassungsbehörde fanden sich immer wieder
Neger, die bereitwillig Anzeigen gegen Weiße erstatteten.
    Die Neger
hatten das Stimmrecht noch nicht bekommen, aber der Norden war gewillt, es
ihnen zu gewähren. Sie sollten zugunsten des Nordens stimmen, und daher war
nichts für die Neger gut genug. Die Yankees nahmen bei allen vorkommenden
Fällen ihre Partei, und der sicherste Weg für einen Weißen, sich ins Unglück zu
stürzen, war ein Streit mit einem Neger, einerlei,

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