Margaret Mitchell
Beziehungen zu ihr zu
leugnen. Es lag auf der Hand, daß er und kein anderer der Geldgeber war. Belle
selbst machte einen überaus wohlhabenden Eindruck, wenn man sie in ihrem geschlossenen
Wagen mit dem unverschämten gelben Neger auf dem Bock vorbeifahren sah. Sobald
ihre schönen Braunen auf der Straße erschienen, liefen die kleinen Kinder, die
ihren Müttern entwischen konnten, zusammen, um nach ihr auszuspähen, und
flüsterten erregt: »Das ist sie! Das ist die alte Belle! Ich habe ihr rotes
Haar gesehen!«
Neben den
zerschossenen Häusern, die mit alten Balkenresten und rauchgeschwärzten
Backsteinen ausgeflickt waren, erhoben sich die schönen Häuser der Schieber und
Kriegsgewinnler, mit Mansardendächern, Giebeln, Türmchen und Fenstern aus
Buntglas und mit großen Rasenplätzen davor. Nacht für Nacht strahlte das neue
Gaslicht aus diesen Fenstern, Musik und das Geräusch tanzender Füße scholl in
die Dunkelheit hinaus. Frauen in pompösen grellen Seidenkleidern schlenderten
auf den langen Veranden hin und her, begleitet von Männern im Frack; Sektkorken
knallten, und auf Spitzentischtüchern wurden Diners von sieben Gängen serviert.
Hinter den schadhaften Türen der alten Häuser hingegen herrschten die Armut und
der Hunger um so härter, weil nach außen hin stolze Gleichgültigkeit gegen alle
leiblichen Genüsse zur Schau getragen wurde. Dr. Meade konnte unerfreuliche
Geschichten von Familien erzählen, die aus ihrem Herrenhaus in eine Pension
übergesiedelt waren und schließlich von dort in irgendein schmutziges Zimmer
einer Hintergasse. Er hatte viele Patientinnen, die an Herzschwäche oder
Entkräftung litten. Er wußte und verbarg es ihnen auch nicht, daß es sich in
Wahrheit um ein langsames Verhungern handelte. Er konnte von der Schwindsucht
erzählen, welche ganze Familien verheerte, von der Rose, die früher nur bei den
Ärmsten vorgekommen war und nun auch Atlantas beste Familien nicht verschonte.
Die Säuglinge hatten dünne, rachitische Beine, und die Mütter konnten sie nicht
stillen. Einst pflegte der alte Doktor Gott ehrfürchtig für jedes Kind zu
danken, das er zur Welt beförderte. Jetzt hielt er das Leben nicht mehr für
eine Wohltat. Es war für die Kleinen eine zu harte Welt, und viele starben in
den ersten Monaten.
Helle
Lichter und Wein, Musik und Tanz, Brokat und Linnen in den protzigen Neubauten
und gleich um die Ecke Kälte und langsamer Hungertod, Gefühllosigkeit und
Anmaßung bei den Siegern, bitteres Leid und Haß bei den Besiegten.
38
Scarlett sah
dies alles, erlebte es Tag für Tag, kam auch des Nachts nicht davon los und war
in beständiger Angst, was als nächstes geschehen könnte. Sie wußte, sie und
Frank standen schon auf der schwarzen Liste der Yankees, Tonys wegen, und jeden
Augenblick konnte das Unglück über sie hereinbrechen. Aber gerade jetzt konnte
sie sich unmöglich dahin zurückwerfen lassen, von wo sie ausgegangen war,
gerade jetzt, da ein Kind kommen sollte, da die Mühle den ersten Gewinn abwarf
und Tara auf ihre Zuschüsse angewiesen war, bis im Herbst die Baumwolle
hereinkam. Ach, und wenn sie nun alles verlieren sollte! Wieder von vorn
anfangen müßte! Mit ihren schwachen Waffen den Kampf gegen die tolle Welt
führen, mit ihren roten Lippen und grünen Augen, mit ihrem gescheiten, aber ungeübten
Hirn sich gegen die Yankees und alles, was sie mit sich brachten, behaupten!
Müde vor Grauen, war sie überzeugt, daß sie sich lieber umbringen als noch
einmal von vorn anfangen würde.
In dem
Chaos dieses Frühlings 1866 hatte sie nur den einen Gedanken: mit der Mühle
Geld zu verdienen. Geld gab es genug in Atlanta, die Fülle der Neubauten gab
ihr die gewünschte Gelegenheit, und wenn sie nur nicht ins Gefängnis kam,
konnte sie sicher Geld verdienen. Aber dann, so sagte sie sich wieder und
wieder, müßte sie leise treten und vorsichtig sein, sich Beleidigungen und
Ungerechtigkeiten gefallen lassen und nie einen Schwarzen noch einen Weißen vor
den Kopf stoßen, der ihr schaden konnte. Sie haßte die unverschämten
freigelassenen Neger so gut wie jeder andere, und sie erzitterte jedesmal vor
Grimm, wenn sie ihre frechen Bemerkungen und ihr herausforderndes Gelächter
hörte, sobald sie vorüberging. Aber nicht ein einziges Mal schaute sie sie
auch nur mit Verachtung an. Sie haßte die Schieber und die Gesinnungslumpen,
die mühelos reich wurden, während sie sich abplagte, aber sie sagte nichts.
Niemand in Atlanta konnte eine
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