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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Es
war, als könnte Atlanta nicht anders als in der Hast leben, wie auch die
jeweiligen Umstände sein mochten. Savannah, Charleston, Augusta, Richmond, New
Orleans hasteten nie. Das war geschmacklos und yankeehaft. Gerade damals aber
war Atlanta geschmackloser und yankeehafter als je zuvor und je nachher. Neue
Leute strömten von allen Seiten herein, von morgens bis abends war des
Gewimmels und Getöses in den Straßen kein Ende. Die protzigen Equipagen der
Offiziersdamen und der Kriegsgewinnler bespritzten die altersschwachen
Einspänner der Alteingesessenen mit Dreck, und zwischen die ehrsamen Wohnhäuser
der früheren Zeit schoben sich die prunkvollen Neubauten der vermögenden
Fremden.
    Der Krieg
hatte die Bedeutung Atlantas für den Süden ein für allemal erwiesen, und der
Name der bisher unbedeutenden Stadt war weit und breit bekannt geworden. Die
Eisenbahnlinien, um die Sherman einen ganzen Sommer lang gekämpft, für die er
Tausende von Männern geopfert hatte, brachten der Stadt, die ihnen ihr Dasein
verdankte, auch jetzt wieder neues Leben. Wie vor der Zerstörung fand das ganze
Leben und Treiben eines weiten Bezirks in Atlanta seinen Mittelpunkt, und der
war gewaltig.
    Die
hereinströmenden Schieber machten Atlanta zu ihrem Hauptquartier und prallten
auf den Straßen mit Vertretern der ältesten Familien aus dem Süden zusammen,
die gleichfalls neu zuzogen. Familien vom Lande, die von Shermans Soldaten
gebrandschatzt worden waren und ohne Sklaven ihre Baumwolle nicht mehr
bestellen konnten, siedelten nach Atlanta über. Täglich kamen neue Zuwanderer
aus Tennessee und den beiden Carolinas, wo der Wiederaufbau auf der Bevölkerung
noch schwerer lastete als in Georgia. Viele Iren und Deutsche, die als Söldner
in der Unionsarmee mitgekämpft hatten, ließen sich nach ihrer Verabschiedung in
Atlanta nieder. Die Frauen und Familien der Yankees, die in Atlanta in Garnison
lagen, waren in den Kriegsjahren neugierig auf den Süden geworden und
vermehrten nun ebenfalls die Bevölkerung der Stadt.
    Tosendes
Leben erfüllte die Stadt, die weit offen wie ein Grenzort dalag und sich keine
Mühe gab, ihre Laster und Sünden zu verbergen. Kneipen schossen über Nacht wie
Pilze aus der Erde, oft zwei und drei in einem Häuserblock, und nach
einbrechender Dunkelheit waren die Straßen voll schwarzer und weißer
Betrunkener, die zwischen Bordstein und Hausmauer hin und her taumelten.
Meuchelmörder, Taschendiebe und Prostituierte lauerten in den finsteren Gassen
und unter den Bäumen auf ihre Opfer. Spielhöllen standen in voller Blüte, und es
verging kaum eine Nacht ohne Schießerei und Messerstecherei. Die ehrsamen
Bürger waren entsetzt, als Atlanta plötzlich ein blühendes, verrufenes
Unzuchtsviertel hatte, größer und belebter als vor dem Kriege. Die ganze Nacht
klimperten dort hinter herabgelassenen Jalousien die Klaviere, Gelächter und
wüste Lieder schallten auf die Straße, dazwischen war hin und wieder ein Schrei
oder ein Pistolenschuß zu hören. Die Insassen dieser Häuser waren dreister als
die Dirnen der Kriegszeit. Sonntags nachmittags rollten sogar die eleganten
geschlossenen Wagen der Frauenzimmer durch die Hauptstraße, voll von
aufgeputzten Mädchen, die hinter herabgelassenen Seidengardinen ein wenig Luft
schöpfen wollten.
    Unter
diesen Weibern war Belle Watling die Bekannteste. Sie hatte jetzt ein eigenes
Haus eröffnet, ein großes zweistöckiges Gebäude, neben dem sich die
Nachbarhäuser wie schäbige Kaninchenställe ausnahmen. Unten befand sich eine
lange elegante, mit Ölgemälden ausstaffierte Bar, und jeden Abend spielte dort
eine Negerkapelle. Die oberen Gemächer, hieß es, seien mit den schönsten
Plüschmöbeln, schweren Spitzenvorhängen und ausländischen Spiegeln in
Goldrahmen hergerichtet. Die zwölf Mädchen, die zur Hauseinrichtung gehörten,
waren zwar ausgiebig geschminkt, aber hübsch; sie verhielten sich auch ruhiger
als die Insassen der anderen Häuser. Wenigstens wurde zu Belle Watling selten
die Polizei gerufen.
    Dieses
Haus war etwas, worüber die Matronen von Atlanta am eifrigsten tuschelten; die
Geistlichen bezeichneten es in vorsichtigen Ausdrücken als einen Pfuhl der
Sünde, ein Ärgernis und einen Schandfleck für die Stadt. Jeder wußte, daß eine
Person wie Belle Watling selbst nie so viel Geld hatte verdienen können, um ein
derartig üppiges Lokal zu errichten. Es mußte jemand mit Vermögen hinter ihr
stehen. Rhett Butler hatte nie den Anstand gehabt, seine

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