Margaret Mitchell
arbeiten,
wenn man satt war?
Zum
erstenmal in ihrem Leben konnten die Nigger so viel Whisky bekommen, wie sie
nur wollten. In den Zeiten der Sklaverei hatten sie ihn überhaupt nur zum
Weihnachtsfest gekostet, wenn jeder mit seinem Geschenk auch seinen
>Tropfen< bekam. Jetzt waren es nicht nur die Agitatoren der Behörden und
die Schieber, die sie zum Saufen und Raufen ermunterten, sondern auch der
Whisky selbst, und Ausschreitungen waren unvermeidlich. Weder Leben noch
Eigentum war vor ihnen sicher, und die rechtlosen Weißen zitterten vor ihnen.
Die Männer wurden auf der Straße von betrunkenen Schwarzen angepöbelt, Häuser
und Scheunen nachts in Brand gesteckt, Pferde, Rinder und Hühner wurden bei
helllichtem Tage gestohlen, Verbrechen jeder Art begangen, und nur wenige
Frevler kamen vors Gericht.
All diese
Schandtaten und Bedrohungen waren jedoch nichts im Vergleich zu der Gefährdung
der weißen Frauen, die, zum großen Teil durch den Krieg des männlichen Schutzes
beraubt, allein, in abgelegenen Gegenden und an einsamen Landstraßen wohnten.
Die große Anzahl der Sittlichkeitsverbrechen an Frauen, die fortwährende Gefahr
für das Leben ihrer Gattinnen und Töchter brachte die Männer des Südens in
kalte, bebende Wut und rief über Nacht den Ku-Klux-Klan ins Leben. Gegen diese
unterirdische Organisation ereiferten sich die Zeitungen des Nordens am
heftigsten, weil sie keine Ahnung von der tragischen Notwendigkeit hatten, der
sie ihre Entstehung verdankte. Der Norden verlangte, daß jedes Mitglied des
Ku-Klux-Klan zu Tode gehetzt und gehängt werde, weil sie zu einer Zeit, da die
ordentlichen Gerichte und die bürgerliche Ordnung durch die Eroberer aufgehoben
worden waren, die Bestrafung von Verbrechen selbst in die Hand genommen hatten.
Es bot
sich das merkwürdige Schauspiel, daß die eine Hälfte eines Volkes versuchte,
der anderen Hälfte mit der Spitze des Bajonetts die Herrschaft der Neger
aufzuzwingen, von denen viele vor kaum einem Menschenalter noch in den
Urwäldern Afrikas gelebt hatten. Sie sollten das Stimmrecht bekommen, und den
meisten ihrer früheren Eigentümer wurde es verweigert. Der Süden sollte
niedergehalten werden, und die politische Entrechtung der Weißen war eines der
Mittel dazu. Die meisten von denen, die für die Konföderierten gekämpft, ein
Amt unter ihrer Regierung innegehabt und ihnen Beistand und Unterstützung
gewährt hatten, durften nicht abstimmen, hatten bei der Wahl der Beamten nicht
mitzureden und standen wehrlos unter der Fremdherrschaft. Viele Männer
urteilten sehr nüchtern über General Lees Wort und Beispiel und waren wie er
bereit, den Treueid zu leisten, Bürger zu werden und das Vergangene zu
vergessen, aber es wurde ihnen nicht erlaubt. Andere, denen man nichts in den
Weg gelegt hätte, weigerten sich und verschmähten es, einer Regierung Treue zu
schwören, die sie absichtlich jeder Grausamkeit und Demütigung auslieferte.
Scarlett hörte immer wieder, bis sie hätte schreien mögen, das Wort: »Ich hätte
den verfluchten Eid längst geleistet, wenn sie ehrlich und anständig mit uns
umgingen. Ich will mich wohl in die Union zurückgliedern lassen, aber, bei
Gott, nicht mit den Methoden dieses >Wiederaufbaues<.«
In all
diesen sorgenvollen Tagen und Nächten quälte sich Scarlett mit schrecklicher
Angst. Die immerwährende Bedrohung durch die entfesselten Neger und Yankees
ließ ihr keine Ruhe. Selbst in ihren Träumen sah sie beständig das Gespenst der
Vermögensbeschlagnahme vor sich, und ihr graute vor schlimmeren Schrecknissen,
die noch kommen konnten. Die eigene Hilflosigkeit und die ihrer Freunde und des
ganzen Südens drückte sie nieder, und es war nicht zu verwundern, daß ihr in
diesen Tagen immer wieder Tony Fontaines leidenschaftliche Worte in den Sinn
kamen: »Bei Gott, Scarlett, es ist nicht zu ertragen, und es wird auch nicht
ertragen!«
Trotz
Krieg, Feuersbrunst und Wiederaufbau war Atlanta jetzt wieder eine auflebende
Stadt. In mancher Beziehung glich es der jungen, geschäftigen Niederlassung aus
der Frühzeit der Konföderierten Staaten. Schlimm war es nur, daß die vielen
Soldaten auf der Straße nicht die richtige Uniform trugen, daß das Geld in den
falschen Händen war und die Neger faulenzten, während ihre früheren Besitzer
hungerten und sich plagten.
Unter der
Oberfläche herrschten Elend und Angst, von außen gesehen aber schien es eine
Stadt voll hastender Geschäftigkeit, die rasch aus den Trümmern emporwuchs.
Weitere Kostenlose Bücher