Margaret Mitchell
Scarlett sehr zustatten - wie sie es beabsichtigt hatte. Viele
Offiziere der Garnison, die nicht wußten, wie lange sie noch in Atlanta bleiben
würden, ließen ihre Frauen und Kinder nachkommen. Da Hotels und Pensionen
überfüllt waren, bauten sie sich kleine Häuser und waren froh, ihr Holz bei der
liebenswürdigen Mrs. Kennedy kaufen zu können, die sie höflicher behandelte als
irgend jemand sonst in der Stadt. Auch die Schieber und Gesinnungslumpen, die
mit ihrem neuen Reichtum schöne Wohnhäuser, Läden und Hotels bauten, fanden es
viel angenehmer, mit Scarlett in Verbindung zu treten als mit den früheren
konföderierten Soldaten, die zwar nicht unhöflich waren, aber ihnen mit ihrer
formellen Höflichkeit ihren Haß doppelt zu fühlen gaben.
Und so
kauften sie, weil Mrs. Kennedy hübsch und reizend war und zuweilen ganz ratlos
und unglücklich anmuten konnte, gern in ihrem Holzlager und auch in Franks
Laden und waren dabei überzeugt, einer wackeren kleinen Frau zu helfen, deren
Mann offensichtlich zu untüchtig war, um sie zu ernähren. So sah Scarlett ihr
Geschäft wachsen und sicherte sich nicht nur mit dem Gelde der Yankees die
Gegenwart, sondern mit ihrer Freundschaft auch die Zukunft.
Ihre
Beziehungen zu den Offizieren so zu erhalten, wie sie es wünschte, war
leichter, als sie erwartet hatte, denn alle empfanden anscheinend eine scheue
Ehrfurcht vor den Damen aus dem Süden. Bald aber stellte sich heraus, daß der
Verkehr mit den Frauen der Offiziere Anforderungen stellte, mit denen Scarlett
nicht gerechnet hatte. Zwar gab sie nichts darum, mit ihnen in Berührung zu
kommen, und hätte es sogar am liebsten vermieden. Aber diese Frauen waren
entschlossen, mit ihr zu verkehren. Sie empfanden eine gewaltige Neugier in
bezug auf den Süden und seine Frauen, und Scarlett gab ihnen die erste
Gelegenheit, sie zu befriedigen. Die anderen Damen aus Atlanta wollten nichts
mit ihnen zu tun haben und weigerten sich sogar, sie in der Kirche zu grüßen.
Als deshalb Scarlett in Geschäften zu ihnen ins Haus kam, war es ihnen wie eine
Erhörung ihrer Gebete. Oft, wenn Scarlett vor einem Yankeehaus in ihrem Wagen
saß und sich mit dem Hausherrn über Tragbalken und Schindeln unterhielt, kam
seine Frau heraus, mischte sich in das Gespräch und bestand darauf, daß
Scarlett zu einer Tasse Tee hereinkam. Sie lehnte dies nur selten ab, so sehr
ihr der Gedanke auch zuwider war. Sie hoffte immer auf eine Gelegenheit, den
Damen taktvoll nahezulegen, ihren Bedarf in Franks Laden zu decken. Oft
freilich wurde ihre Selbstbeherrschung auf eine harte Probe gestellt, wenn das
Gespräch auf persönliche Dinge kam und die Frauen sich dabei selbstgerecht und
herablassend nach allen möglichen Gepflogenheiten des Südens erkundigten.
Für diese
Frauen der Yankees war »Onkel Toms Hütte« eine Offenbarung, die nur der Bibel
nachstand, und sie wollten wissen, wieviel Bluthunde jeder Südstaatler zum
Aufspüren seiner entlaufenen Sklaven hielt. Sie wollten Scarlett nicht glauben,
als sie ihnen erzählte, daß Sie in ihrem Leben nur einen einzigen Bluthund
gesehen habe, und das sei ein sanfter kleiner Hund und keinesfalls eine riesige
und wilde Dogge gewesen. Dann wollten sie über das fürchterliche glühende Eisen
Auskunft haben, mit dem die Pflanzer die Gesichter ihrer Sklaven brandmarkten,
über die Knuten, mit denen sie sie zu Tode peitschten, und außerdem bezeigten
sie nach Scarletts Gefühl ein geradezu widerwärtiges Interesse an den sexuellen
Verhältnissen der Sklaven. Besonders zuwider war ihr dies angesichts der
ungeheuren Zunahme an Mulattenkindern in Atlanta, seitdem die Soldaten der
Yankees sich in der Stadt niedergelassen hatten.
Jede
andere Frau in Atlanta wäre vor Empörung vergangen bei so viel scheinheiliger
Unwissenheit, aber Scarlett gelang es, sich zu beherrschen. Das wurde ihr nicht
einmal schwer, da diese Yankeefrauen mehr ihre Verachtung als ihren Zorn
herausforderten. Schließlich waren sie eben nur Yankees, und von Yankees war
nichts Besseres zu erwarten. Was da in aller Harmlosigkeit ihrem Vaterland,
ihren Landsleuten und deren Moral an Kränkungen zugefügt wurde, glitt von ihr
ab und erregte niemals mehr als sorgfältig verborgenen Hohn in ihr, bis etwas
geschah, wobei sie ganz krank vor Wut wurde und was ihr zeigte, falls das
überhaupt noch nötig war, welcher Abgrund zwischen Norden und Süden klaffte und
wie völlig unmöglich es war, ihn je zu überbrücken.
Als sie
eines Nachmittags mit Onkel
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