Margaret Mitchell
leben. Aber sie waren
dageblieben. Sie dachte an Dilcey, wie sie im Baumwollfeld an ihrer Seite
gearbeitet hatte, an Pork, der in fremden Hühnerhöfen sein Leben gewagt hatte,
damit die Familie zu essen hätte, an Mammy, die mit ihr nach Atlanta gekommen
war, um auf sie aufzupassen, damit sie kein Unrecht täte. Sie dachte an die
Sklaven ihrer Nachbarn: sie hatten ihren weißen Eigentümern treu zur Seite
gestanden, ihre Herrinnen beschützt, während die Männer an der Front waren; sie
waren durch alle Schrecken des Krieges mit ihnen geflohen, hatten die
Verwundeten gepflegt, gebettelt und gestohlen, damit der Tisch ihrer Herren
nicht leer werde. Und auch jetzt noch, da die Freilassungsbehörde ihnen das
Blaue vom Himmel versprach, hielten sie zu ihren weißen Herrschaften und
arbeiteten schwerer als jemals in den Zeiten der Sklaverei. Aber die Yankees
verstanden das nicht und würden es auch nie begreifen.
»Und doch
haben sie euch befreit«, sagte sie laut.
»Nein,
Missis, mich haben sie nicht befreit, ich lasse mich von solchem Pack nicht
befreien. Ich gehöre noch immer Miß Pittypat, und wenn ich sterbe, legt sie
mich ins Hamiltonsche Familiengrab, wo ich hingehöre. Meine Miß bekommt
Zustände, wenn ich ihr erzähle, wie Sie mich von den Yankeefrauen haben
beleidigen lassen.«
»Das habe
ich doch nicht getan!« rief Scarlett erschrocken.
»Das haben
Miß doch getan!« Peter schob die Lippe womöglich noch weiter vor. »Die Sache
ist so: Sie und ich, wir haben nichts bei den Yankees zu suchen, dann konnten
sie mich auch nicht beleidigen. Wenn Sie nicht mit ihnen sprechen, hatten sie
auch keine Gelegenheit, mich wie ein Maultier und einen aus Afrika zu
behandeln. Und Sie sind nicht einmal für mich eingetreten.«
»Aber ich
habe ihnen doch gesagt, du gehörst zur Familie!« Der Tadel traf Scarlett tief.
»Das ist
nicht eintreten für mich, da ist bloß Tatsache«, erwiderte Peter. »Miß Scarlett,
Sie brauchen ja keinen Umgang mit den Yankees zu haben, das hat auch keine
andere Dame. Miß Pitty würde an solchem Pack nicht ihre kleinen Schuhe
abwischen, und es wird ihr nicht gefallen, wenn sie hört, was sie von mir
gesagt haben.«
Peters
Vorwurf schmerzte Scarlett tiefer als alles, was Frank, Pitty oder die Nachbarn
je gesagt hatten, und ärgerte sie so, daß sie den alten Schwarzen für ihr Leben
gern geschüttelt hätte, bis ihm die zahnlosen Kiefer zusammenklappten. Peter
sprach die Wahrheit, aber es war ihr unerträglich, sie von einem Neger, und gar
von einem Neger ihrer Familie zu hören. Einem Südstaatler konnte nichts
Schmählicheres begegnen, als daß seine Dienstboten schlecht von ihm dachten.
»Ein altes
Verzugskind!« knurrte Peter. »Miß Pitty erlaubt mir nun sicher nicht mehr, Sie
auszufahren, nein bestimmt nicht, Missis!«
»Tante
Pitty wird auch weiter von dir verlangen, daß du mich ausfährst«, sagte sie
streng, »also schweig davon.«
»Ich
kriege es im Rücken«, prophezeite Peter düster. »Mein Rücken tut mir gerade
jetzt so weh, daß ich mich gar nicht aufrecht halten kann. Meine Miß verlangt
nicht von mir, daß ich ausfahre, wenn es mir so da im Rücken sitzt ... Miß
Scarlett, Sie haben gar nichts davon, daß Sie bei den Yankees und bei weißen
Schurken gut angeschrieben sind, wenn Ihre eigenen Leute nichts von Ihnen
halten.«
Damit war
die Lage so treffend wie nur möglich gekennzeichnet, und Scarlett verfiel in
ein grimmiges Schweigen. Freilich, die Eindringlinge und Eroberer waren mit ihr
zufrieden, ihre Familie dagegen und ihre Nachbarn waren es nicht. Sie wußte
alles, was in der Stadt über sie geredet wurde. Und nun war auch Peter so
unzufrieden mit ihr, daß er sich nicht mehr öffentlich mit ihr zeigen wollte.
Das setzte allem die Krone auf.
Bisher
hatte sie sich aus der Meinung der Leute nichts gemacht, sie sogar verachtet,
aber bei Peters Worten entbrannte ein bitterer Groll in ihr, der bewirkte, daß
ihr die Nachbarn fast ebenso verhaßt wurden wie die Yankees.
»Was geht
es die Leute an, was ich tue«, dachte sie. »Sie denken wohl, es macht mir
Vergnügen, mit den Yankees zu verkehren und mich wie eine Pflückerin auf dem
Feld abzuschinden. Sie machen mir meine schwere Arbeit nur noch schwerer! Aber
es ist mir einerlei, was sie denken. Es soll mir einfach einerlei sein, ich
kann es mir nicht leisten, mir auch das noch zu Herzen zu nehmen. Aber eines
Tages ... eines Tages ... «
Ach, eines
Tages! Wenn es wieder Ordnung auf der Welt gab, dann wollte auch
Weitere Kostenlose Bücher