Margaret Mitchell
gewesen, daß Scarlett versäumt hatte, aus Atlanta einen
Pfarrer mitzubringen, und hatte sich mit der Hoffnung getröstet, daß der
Priester, der Will und Suellen trauen sollte, zugleich Gerald eine Totenmesse
lesen würde. Sie war es, die gegen die benachbarten protestantischen
Geistlichen Einspruch erhob; dann hatte sie Ashley die Sorge für die
Feierlichkeiten übertragen und ihm Stellen in ihrem Buch angestrichen, die er
vorlesen sollte. Ashley lehnte an dem alten Sekretär und war sich seiner
Verantwortung, Zwistigkeiten fernzuhalten, wohl bewußt. Aber er kannte die
leicht entzündbare Gemütsart der Leute und wußte nicht recht, wie er seiner
Aufgabe gerecht werden sollte.
»Es hilft
alles nichts, Will«, sagte er und wühlte mit der Hand in seinem blonden Haar.
»Ich kann weder Großmama Fontaine noch den alten McRae zu Boden schlagen, noch
Mrs. Tarleton die Hand vor den Mund halten. Sie werden sicher sagen, Suellen
sei eine Mörderin und Verräterin und ohne sie wäre Mr. O'Hara noch am Leben,
und das wird noch das wenigste sein. Eine verfluchte Sitte, diese barbarischen
Grabreden.«
»Ja,
Ashley«, sagte Will bedächtig, »aber es soll niemand etwas gegen Suellen sagen.
Laß sie denken, was sie Lust haben. Überlaß das nur mir. Wenn du mit Bibeltext
und Gebet fertig bist und fragst, ob noch jemand ein paar Worte sagen möchte,
so schaust du mich an, damit ich zuerst sprechen kann.«
Scarlett
sah den Sargträgern zu, wie sie sich bemühten, ihre Last durch den schmalen
Eingang in den Friedhof zu bringen, und dachte nicht an Streitereien nach der
Beerdigung. Sie dachte schweren Herzens, daß sie mit Gerald das, was sie noch
mit dem alten glücklichen und sorglosen Leben verband, zu Grabe trug.
Schließlich
wurde der Sarg neben der Grube niedergesetzt, und die Männer streckten ihre
schmerzenden Finger. Ashley, Melanie und Will traten nacheinander in die
Umfriedigung und stellten sich hinter die O'Haraschen Töchter. Alle nächsten
Nachbarn, die drinnen Platz finden konnten, standen hinter ihnen, die anderen außerhalb
der Umfassungsmauer. Scarlett sah sie jetzt zum erstenmal beisammen und war
überrascht und gerührt, wie viele gekommen waren. Bei den Schwierigkeiten des
Reisens war ihnen das um so höher anzurechnen. Fünfzig bis sechzig Leute waren
anwesend, einige kamen von so weit her, daß sie sich kaum vorstellen konnte,
wie sie es rechtzeitig erfahren hatten. Ganze Familien aus Jonesboro,
Fayetteville und Lovejoy waren gekommen, mit ihnen ein paar schwarze
Dienstboten, viele Kleinfarmer von jenseits des Flusses, Maisbauern aus dem
Urwald und allerlei Trapper aus den Niederungen. Das waren hagere bärtige Leute
in selbstgewebten Anzügen, mit Bärenmützen auf dem Kopf. Das Gewehr hatten sie
bequem im Arm und den Tabakpriem in der Backe. Die Frauen waren mitgekommen,
ihre bloßen Füße drückten sich tief in die weiche Erde ein. Unter den
breitrandigen Hüten sahen die Gesichter gelb und malariakrank, aber blitzsauber
aus, nur auf der Oberlippe saßen ihnen Reste von Schnupftabak; die frisch
gebügelten Kattunkleider waren blank gestärkt.
Die
nächsten Nachbarn waren vollzählig erschienen. Großmama Fontaine, welk, runzlig
und gelb wie ein alter, mausernder Vogel, lehnte sich auf ihren Stock. Hinter
ihr standen Sally Munroe-Fontaine und die junge Miß Fontaine. Vergebens zupften
sie die alte Frau am Rock und versuchten ihr zuzuflüstern, sie möge sich auf
die niedrige Mauer setzen. Großmamas Mann, der alte Doktor, war nicht da, er
war vor zwei Monaten gestorben, und aus ihren alten Augen war viel von der
hellen, boshaften Freude am Leben verschwunden. Cathleen Calvert-Hilton stand
allein, wie es einer Frau zukam, deren Mann die Tragödie mitverschuldet hatte.
Ihr verblichener Sonnenhut verbarg ihr gesenktes Gesicht. Scarlett sah mit
Schrecken, daß ihr Perkalkleid Fettflecke aufwies, daß ihre Hände
sommersprossig und unsauber waren. Unter den Fingernägeln hatte sie schwarze
Halbmonde. Cathleen hatte nichts von guter Familie mehr an sich. Sie sah wie
eine arme Farmersfrau aus, ja schlimmer, nach verarmten, verwahrlosten Proleten
- nach nichts.
»Bald wird
sie Tabak schnupfen, wenn sie es nicht schon tut«, dachte Scarlett voller
Grauen. »Ach, du lieber Gott, wie ist sie heruntergekommen!«
Schaudernd
wandte sie die Augen von Cathleen ab. Ihr wurde klar, wie schmal doch die Kluft
war, die die guten Familien von der Unterschicht trennte.
»Hätte ich
nicht so viel Mut gehabt, ich wäre
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