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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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heute auch soweit«, dachte sie voller Stolz.
Cathleen und sie hatten nach dem Ende des Krieges mit den gleichen Waffen
begonnen - mit leeren Händen und dem Hirn in ihrem Kopf. »Ich habe noch ganz
gut abgeschnitten«, dachte sie, hob das Kinn und lächelte.
    Aber
mitten im Lächeln hielt sie inne, als sie Mrs. Tarletons entsetzte Augen auf
sich ruhen sah, rotgeweinte Augen, die erst Scarlett vorwurfsvoll anblickten
und sich dann wieder mit einem wilden Groll, der nichts Gutes bedeutete,
Suellen zuwandten. Hinter ihr und ihrem Mann standen die vier Töchter, deren
rote Locken schlecht zu der Feierlichkeit und der Trauer paßten und deren
rotbraune Augen immer noch feurig und gefährlich wie die Augen kräftiger junger
Tiere dreinschauten.
    Die Füße
kamen zur Ruhe, die Hüte wurden abgenommen, die Hände falteten sich und die
Röcke hörten auf zu rascheln, als Ashley mit Carreens zerlesenem Andachtsbuch
vortrat. Einen Augenblick neigte er still den Kopf, die Sonne glänzte auf
seinem goldblonden Haar, tiefe Stille legte sich über die Menge, so tief, daß
das Säuseln des Windes in den Magnolienblättern deutlich zu hören war und der
ferne Ruf der Spottdrossel unerträglich laut und traurig klang. Ashley begann
die Gebete, und alle Köpfe neigten sich, während seine klangvolle, schöne
Stimme die kurzen, würdevollen Worte dahinrollen ließ.
    Scarlett
würgte es im Halse. »Wie schön ist seine Stimme! Wie ich mich freue, daß Ashley
Pa diese letzte Ehre erweisen kann! Er ist mir lieber als ein Priester. Es ist
schöner, daß Pa von einem der Seinen ins Grab gelegt wird, als von einem
Fremden.«
    Als Ashley
an die Stelle in den Gebeten kam, wo von den Seelen im Fegefeuer die Rede ist -
Carreen hatte sie für ihn angestrichen -, schloß er unvermittelt das Buch. Nur
Carreen bemerkte, was er ausließ, und blickte ihn verwundert an, als er das
»Vaterunser« begann. Ashley wußte, daß die Hälfte der Anwesenden nie vom
Fegefeuer gehört hatte und daß die, die davon wußten, sich persönlich beleidigt
fühlten, wenn er im Gebet auch nur die Möglichkeit zugab, daß ein so
vortrefflicher Mann wie Gerald O'Hara nicht geradewegs in den Himmel kam.
Deshalb ließ er das Fegefeuer aus. Die Versammlung stimmte herzhaft in das
Vaterunser mit ein, aber die Stimmen versickerten in einem befangenen
Schweigen, als er das »Ave Maria« begann. Sie hatten das Gebet nie gehört und
blickten einander verstohlen an, als die O'Haraschen Töchter, Melanie und die
Dienstboten von Tara respondierten: »Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für
uns Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen.«
    Dann hob
Ashley den Kopf und stand einen Augenblick unschlüssig da. Die Zuhörer blickten
erwartungsvoll auf ihn, während sie es sich nach der langen Andacht etwas
bequemer machten. Sie warteten darauf, daß er in dem Gottesdienst fortfahren
sollte. Niemandem kam in den Sinn, daß die katholischen Sterbegebete schon zu
Ende sein könnten. In der Provinz dauerte eine Beerdigung immer sehr lange. Die
Baptisten- und Methodistenprediger, die sie abhielten, hatten keine
vorgeschriebenen Gebete, sondern extemporierten je nach den Umständen und
hörten selten auf, ehe nicht die ganze Trauergemeinde in Tränen schwamm und die
weiblichen Verwandten des Toten in ihrem Schmerz laut schluchzten. Niemand
wußte besser als Ashley, daß die Besucher befremdet und empört sein würden,
wenn mit diesen kurzen Gebeten der Gottesdienst an der Bahre ihres geliebten
Freundes zu Ende war. Wenn er jetzt schloß, wurde darüber wochenlang überall
gesprochen, und in der Provinz würde es heißen, die O'Haraschen Töchter hätten
ihrem Vater nicht die gebührende Ehre erwiesen.
    Mit einem
raschen Blick bat er deshalb Carreen um Entschuldigung, neigte wieder den Kopf
und begann, die Litanei der Anglikanischen Hochkirche, die er oft bei dem
Begräbnis von Sklaven in Twelve Oaks verlesen hatte, auswendig herzusagen.
    »Ich bin
die Auferstehung und das Leben ... wer an mich glaubt ... der soll nimmermehr
sterben.« Der Text fiel ihm nur stockend wieder ein, deshalb sprach er langsam
und schwieg auch hin und wieder ein Weilchen, um zu warten, daß die Sätze aus
seinem Gedächtnis aufstiegen. Aber diese gemessene Wiedergabe machte die Worte
noch eindrucksvoller, und wer vorher trockenen Auges geblieben war, suchte
jetzt nach dem Taschentuch. Es waren alles strenggläubige Methodisten und
Baptisten, sie hielten dies für die katholische Totenmesse und kamen von

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