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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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McRae
trugen langsam und unbeholfen Geralds Sarg auf zwei Eichenbalken den Weg vom
Haus herunter. Hinter ihnen kam in ehrfürchtigem Abstand die große Schar der
Nachbarn und Freunde, stumm, jeder für sich, alle schäbig gekleidet. Als sie
den sonnigen Gartenweg daherkamen, beugte Pork den Kopf auf den Spatengriff und
weinte, und Scarlett sah überrascht und teilnahmslos, daß sein wolliger Kopf,
der noch so kohlschwarz gewesen war, als sie nach Atlanta ging, jetzt zu
ergrauen begann.

Müde
dankte sie Gott, daß sie sich am Abend vorher völlig ausgeweint hatte und nun
trocknen Auges aufrecht dazustehen vermochte. Das Schluchzen Suellens, die
unmittelbar hinter ihr stand, reizte sie unerträglich, und sie mußte die Faust
ballen, um sich nicht umzudrehen und ihr in das geschwollene Gesicht zu
schlagen. Suellen hatte, ob willentlich oder nicht, den Tod ihres Vaters
herbeigeführt und sollte wenigstens den Anstand haben, sich vor der
feindseligen Nachbarschaft zusammenzunehmen. Kein Mensch hatte heute morgen mit
ihr gesprochen oder ihr auch nur einen teilnehmenden Blick gegönnt. Sie hatten
Scarlett geküßt und ihr die Hand gedrückt, Carreen und sogar auch Pork ein paar
freundliche Worte zugeflüstert, aber Suellen hatten sie alle wie Luft
behandelt.
    Nach der
Auffassung der Leute hatte sie etwas noch Schlimmeres getan als ihren Vater
ermordet. Sie hatte ihn zu beschwatzen versucht, dem Süden die Treue zu
brechen, und das empfand diese grimmig festgefügte Gemeinschaft als einen
Schlag gegen ihre eigene gemeinsame Ehre. Sie hatte die feste Front gesprengt,
in der die Provinz der Welt entgegentrat. Mit ihrem Versuch, von den Yankees
Geld zu erschleichen, hatte sie sich auf eine Stufe mit den Schiebern und
Gesinnungslumpen gestellt, mit den Feinden, die sie noch ingrimmiger haßten als
alle Soldaten der Yankees. Sie, die Tochter einer alten treuen konföderierten
Pflanzerfamilie, war zum Feinde übergelaufen und hatte damit über jede Familie
der Provinz Schande gebracht.
    Die
Trauernden waren tiefbekümmert und zugleich hell empört, vor allem drei - der
alte McRae, Geralds Gefährte, seitdem er vor vielen Jahren aus Savannah nach
dem Norden gekommen war, Großmama Fontaine, die ihn als Ellens Gatten lieb
hatte, und Mrs. Tarleton, die ihm näherstand als all ihren anderen Nachbarn,
weil er, wie sie oft sagte, der einzige in der Provinz war, der einen Hengst
von einem Wallach unterscheiden konnte.
    Der
Anblick dieser drei düsteren Gesichter in dem dämmerigen Salon, wo Gerald
aufgebahrt lag, war Ashley und Will nicht geheuer gewesen, und sie hatten sich
in Ellens Schreibzimmer zur Beratung zurückgezogen. »Einer von den dreien hat
vor, über Suellen zu sprechen«, sagte Will und biß seinen Strohhalm mitten
durch. »Sie meinen, das sei notwendig und ihr gutes Recht. Mag sein, es ist
nicht meine Sache, darüber zu entscheiden. Aber, Ashley, ob sie recht haben
oder nicht, wir dürfen es uns als die Männer der Familie nicht bieten lassen,
und dann gibt es Krach. Mit dem alten McRae ist nichts anzufangen, weil er
stocktaub ist und nicht hört, wenn ihn jemand zum Schweigen bringen will, und
du weißt, niemand auf Gottes Erdboden kann Großmama Fontaine daran hindern,
ihre Meinung zu sagen, wenn sie es will. Hast du gesehen, wie Mrs. Tarleton
jedesmal mit ihren rotbraunen Augen rollt, wenn sie Suellen anschaut? Sie hat
schon die Ohren zurückgelegt und hält kaum noch an sich. Wenn sie etwas sagen,
können wir nicht schweigen, und wir haben es auf Tara auch ohne Streit mit den
Nachbarn schon schwer genug.«
    Ashley
seufzte sorgenvoll. Er kannte das heiße Blut seiner Nachbarn besser als Will
und wußte wohl, daß vor dem Kriege reichlich die Hälfte aller Streitigkeiten
und auch etliche Schießereien ihren Ursprung in der Gepflogenheit hatten, am
Sarge von verstorbenen Nachbarn ein paar Worte zu reden. Meistens waren es
Worte der äußersten Verherrlichung, manchmal aber auch nicht. Manchmal wurden
Sätze, die die höchste Bewunderung ausdrücken sollten, von den überreizten
Verwandten des Toten mißdeutet, und kaum fielen die ersten Erdschollen auf den
Sarg, so begann die Fehde.
    Da kein
Priester zugegen war, sollte Ashley an Hand von Carreens Andachtsbuch den
Trauergottesdienst abhalten. Das Angebot der Methodisten- und Baptistenprediger
in Jonesboro und Fayetteville, am Grabe auszuhelfen, war in schonender Form
zurückgewiesen worden. Carreen, eine frommere Katholikin als ihre Schwester,
war ganz außer sich

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