Margaret Mitchell
mit, im Wagen oder vorn auf dem
Sattel. Wenn er nachmittags aus der Bank nach Hause kam, ging er in der
Pfirsichstraße mit ihr spazieren. Er faßte sie an der Hand, richtete seine
langen Schritte nach ihrem winzigen Getrappel und antwortete geduldig auf ihre
tausend Fragen. Bei Sonnenuntergang hielten sich die Leute in ihren
Vordergärten und auf den Veranden vor den Eingangstüren auf. Und da Bonnie ein
so hübsches, zutrauliches Geschöpf war mit ihrem schwarzen Lockengewirr und
ihren leuchtenden blauen Augen, so widerstanden wenige der Versuchung, sie
anzureden. Aber Rhett drängte sich in solche Gespräche nie ein, sondern stand
ein wenig abseits und strahlte förmlich Vaterstolz aus vor Genugtuung über die
Beachtung, die seine Tochter überall fand.
Atlanta
hatte ein gutes und argwöhnisches Gedächtnis und bedachte sich lange, ehe es
seine Meinung änderte. Die Zeiten waren schwer, und der Groll gegen jeden, der
etwas mit Bullock und den Seinen zu tun hatte, war bitter. Aber Bonnie hatte
den Zauber, den sowohl Scarlett wie Rhett in ihren besten Augenblicken haben
konnten, in sich vereint und war nun der winzige Keil, den Rhett in die starre
Ablehnung Atlantas hineintrieb.
Bonnie
wuchs rasch heran, und jeder Tag zeigte es deutlicher, daß Gerald O'Hara ihr
Großvater gewesen war. Sie hatte kurze stämmige Beine, große, echt irische
blaue Augen, dazu ein kleines eckiges Kinn, das auf die Kraft und
Entschlossenheit hindeutete, den eigenen Willen durchzusetzen. Auch Geralds Jähzorn
hatte sie geerbt, dem sie in tobendem Geschrei Luft machte. Aber sobald ihr
Wunsch erfüllt wurde, war auch ihr Zorn schon verraucht, und solange ihr Vater
sich in der Nähe aufhielt, wurden ihre Wünsche stets eiligst erfüllt. Er
verhätschelte sie trotz aller Bemühungen Mammys und Scarletts, ihn daran zu
hindern. Sie machte ihm in allen Dingen Freude. Nur eins gefiel ihm nicht: ihre
Angst vor der Dunkelheit Bis sie zwei Jahre alt war, hatte sie bereitwillig in
der Kinderstube geschlafen, die sie mit Wade und Ella teilte. Dann fing sie
ohne ersichtlichen Grund an zu schluchzen, sobald Mammy aus dem Zimmer
watschelte und die Lampe mitnahm. Bald wachte sie auch in den späten
Nachtstunden auf, schrie vor Angst, erschreckte die beiden anderen Kinder und
weckte sämtliche Hausbewohner aus dem Schlaf. Einmal mußte Dr. Meade geholt
werden, und als er als Ursache dieser Angstausbrüche einfach böse Träume
bezeichnete, fertigte Rhett ihn kurz ab. Alles, was aus Bonnie selbst
herauszubekommen war, bestand in dem einen Wort »dunkel«.
Scarlett
wurde leicht mit dem Kind böse und neigte dazu, es zu schlagen. Sie wollte ihm
nicht nachgeben und die Lampe im Kinderzimmer brennen lassen, weil Wade und
Ella dann nicht schlafen konnten. Rhett war besorgt, ging aber sanft zu Werke und
versuchte, noch mehr aus der Kleinen herauszubekommen. Zu Scarlett sagte er
kalt, wenn geprügelt werden müsse, so wolle er persönlich diese Strafe
vollziehen, und zwar an ihr.
Es endete
damit, daß Bonnie aus dem Kinderzimmer genommen und in das Zimmer gebettet
wurde, wo Rhett jetzt allein schlief. Ihr Kinderbett wurde neben sein großes
Bett gestellt, und eine abgeblendete Lampe brannte die ganze Nacht auf dem
Tisch. Die Geschichte machte die Runde durch die ganze Stadt. Es lag doch
zweifellos etwas Unpassendes darin, daß ein kleines Mädchen mit ihrem Vater in
einem Zimmer schlief, auch wenn es erst zwei Jahre alt war. Scarlett litt in
zweifacher Hinsicht unter dem Gerede. Einmal wurde dadurch außer jeden Zweifel
gestellt, daß sie und ihr Mann jetzt in getrennten Zimmern schliefen, was an
sich schon empörend war. Ferner fanden alle Leute, wenn ein Kind Angst habe,
allein zu schlafen, gehöre es zu seiner Mutter, und Scarlett getraute sich
nicht, sich damit zu entschuldigen, daß sie in einem erhellten Zimmer nicht
schlafen könne. Übrigens hätte Rhett gar nicht erlaubt, daß die Kleine bei ihr
schliefe.
»Du wachst
ja doch nicht auf, bevor sie nicht aus Leibeskräften schreit, und dann schlägst
du sie womöglich«, sagte er kurz.
Scarlett
ärgerte sich darüber, daß er sich Bonnies nächtliche Ängste so zu Herzen nahm,
aber sie meinte, gelegentlich ließe sich die Sache schon wieder in Ordnung
bringen und dann könnte das Kind ja wieder bei den anderen schlafen. Alle
Kinder hatten Angst vor Dunkelheit, und dagegen war nur mit Strenge etwas
auszurichten. Rhett wollte sie ja nur ärgern und als schlechte Mutter
hinstellen, als Vergeltung
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