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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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ging sie sofort hinaus und ließ ihn und Archie zu einer
bitterbösen Unterredung in dem kleinen Raum zurück. India und Mrs. Elsing
standen vor der Tür und kehrten ihr den Rücken. Scham und Angst jagten sie nach
Hause. In ihrer Vorstellung nahm Archie mit seinem Patriarchenbart das Aussehen
eines rächenden Engels aus dem Alten Testament an.
    Ihr Haus
lag leer und still im Sonnenuntergang da. Die Dienstboten waren alle zu einer
Beerdigung gegangen. Die Kinder spielten in Melanies Garten. Melanie ...
    Melanie!
Scarlett überlief es kalt bei dem Gedanken an sie, als sie die Treppe in ihr
Zimmer hinaufging. Nun erfuhr Melanie alles. India hatte gesagt, sie wolle es
ihr erzählen. Oh, India erzählte es ihr mit Hochgenuß, ohne Rücksicht darauf,
ob sie Ashley beschmutzte und Melanie verletzte, wenn sie nur Scarlett Schaden
zufügen konnte. Und auch Mrs. Elsing würden reden, obwohl sie eigentlich gar
nichts gesehen hatten, denn sie hatte hinter India und Archie in der Tür
gestanden.
    Zur Zeit
des Abendessens würde die ganze Stadt es wissen und bis zum morgigen Frühstück
auch jeder Neger. Heute abend auf der Gesellschaft steckten die Damen nun die
Köpfe zusammen und tuschelten. Scarlett Butler stürzte von ihrer stolzen,
machtvollen Höhe herab! Und das Gerede würde alles vergröbern, und es gab kein
Mittel, dem Einhalt zu tun. Bei der Tatsache, daß Ashley sie weinend im Arm
gehalten hatte, würde es nicht bleiben. Noch vor Dunkelwerden würde es heißen,
sie seien beim Ehebruch ertappt worden. Scarlett dachte erbittert: Wären wir
damals Weihnachten während seines Urlaubs überrascht worden, wie ich ihn zum
Abschied küßte, oder im Obstgarten, als ich ihn anflehte, mit mir zu fliehen,
ach, wären wir nur irgendeinmal ertappt worden, da wir wirklich schuldig waren,
es wäre nicht so schlimm. Aber nun, da er mich so ganz nur als Freund in die
Arme schloß ... Niemand würde es glauben. Sie hatte keinen einzigen Freund, der
für sie eintrat. Keine einzige Stimme würde sich erheben und sprechen: »Ich
glaube nicht, daß sie etwas Unrechtes getan hat.« Sie hatte die alten Freunde
allzulange tief gekränkt, nun fand sich für sie kein Verteidiger mehr. Und ihre
neuen Freunde, die im stillen unter ihrer Unverschämtheit litten, waren froh,
einmal über sie herziehen zu können. Ihr traute jedermann alles zu, wenn es
auch manchem leid tun mochte, daß ein Mann wie Ashley Wilkes in eine so
schmutzige Affäre verwickelt war. Wie immer wurde natürlich die Frau
verurteilt, und über die Schuld des Mannes zuckte man nur die Achseln. Und
hatte man nicht diesmal recht, war sie ihm nicht in die Arme gesunken? Oh, sie
wollte es schon auf sich nehmen, verleumdet und geschmäht zu werden, all das
hinterhältige Grinsen und Tuscheln wollte sie ertragen, wenn es sein mußte. Nur
Melanie nicht! Melanie nicht! Warum Melly mehr als alles andere ihr auf der
Seele lag, wußte sie nicht. Sie war so verängstigt und von alter Schuld
bedrückt, daß sie sich darüber keine Rechenschaft ablegen konnte. Aber sie
brach in Tränen aus, als sie sich Melanies Augen bei Indias Bericht vorstellte.
Ob sie Ashley verließ? Was blieb ihr denn anderes übrig, wenn sie ihre Würde
wahren wollte? Und Ashley und ich, was sollen wir tun - dachte sie halb von
Sinnen, und die Tränen strömten ihr übers Gesicht. Ach, Ashley stirbt ja vor
Scham und haßt mich, weil ich das über ihn gebracht habe. Und plötzlich
stockten ihr die Tränen. Ein Todesschrecken fuhr ihr durchs Herz: Rhett! Was
würde Rhett tun?
    Vielleicht
erfuhr er es gar nicht. Wie lautete doch das alte Sprichwort? »Der Ehemann
erfährt es immer zuletzt.« Vielleicht erzählte es ihm niemand. Es gehörte schon
Mut dazu, Rhett so etwas zu erzählen. Er stand in dem Ruf, zuerst zu schießen
und dann zu fragen. Lieber Gott, laß keinen so tapfer sein, es ihm zu sagen!
Aber nun fiel ihr Archies Gesicht im Kontor wieder ein: das kalte farblose
Auge, das ihr und allen Frauen Unheil verhieß. Archie fürchtete weder Gott noch
Mensch und haßte jede leichtfertige Frau. Eine hatte er so gehaßt, daß er sie
umgebracht hatte. Er hatte übrigens gesagt, er wolle es Rhett erzählen. Er
erzählte es ihm sicher und ließ sich auch durch Ashley nicht davon abbringen.
Wenn Ashley nicht Archie tötete, erzählte der Alte es Rhett, weil er es für
seine Christenpflicht hielt.
    Sie zog
sich aus und legte sich aufs Bett. Ihre Gedanken drehten sich ohne Unterlaß
immer im Kreise. Könnte sie nur ihre Tür

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