Margaret Mitchell
wäre Scarlett ihr einziger Gast. Sie trat
zu ihr und legte den Arm um sie.
»Was für
ein entzückendes Kleid du anhast, Liebes!« sagte sie mit ihrer feinen, klaren
Stimme. »Willst du ein Engel sein? India konnte heute abend nicht kommen und
mir helfen. Möchtest du mit mir die Gäste empfangen?«
54
Als
Scarlett glücklich wieder in ihrem Zimmer war, fiel sie aufs Bett, ohne sich um
das Moirekleid, die Turnüre und die Rosen zu kümmern. Eine ganze Zeit lang
konnte sie nur still daliegen und daran denken, wie sie zwischen Melanie und
Ashley gestanden und die Gäste begrüßt hatte. Grauenhaft! Lieber träte sie
Shermans ganzer Armee entgegen, als dies noch einmal durchzumachen. Schließlich
stand sie auf, ging erregt im Zimmer auf und ab und ließ ein Kleidungsstück
nach dem andern zu Boden gleiten.
Nach so
viel Anspannung setzte nun die Ermattung ein. Ihre Glieder flogen. Die
Haarnadeln entglitten ihren Fingern und klirrten zu Boden. Als sie versuchte,
sich, wie allabendlich, hundertmal mit der Bürste übers Haar zu streichen,
stieß sie sich schmerzhaft gegen die Schläfe. Immer wieder ging sie auf
Zehenspitzen an die Tür und horchte hinaus, aber wie ein stummer Abgrund lag
unten die Halle.
Als die
Gesellschaft zu Ende war, hatte Rhett sie im Wagen allein nach Hause geschickt,
und sie hatte Gott für die Galgenfrist gedankt. Er war noch nicht da, gottlob,
noch nicht. Heute nacht war sie, die vor Scham und Angst bebte, ihm nicht
gewachsen. Wo mochte er stecken?
Wahrscheinlich
bei jener Person. Zum erstenmal war Scarlett froh, daß Belle Watling auf der
Welt war und daß es außerhalb des Hauses einen Ort gab, wo Rhett weilen konnte,
bis seine schreckliche Mordlaune verglomm. Es war unrecht, sich zu freuen, daß
der Ehemann sich in einem Bordell aufhielt, aber sie konnte nichts dafür. Sie
hätte sich selbst über seinen Tod gefreut, wenn sie dadurch diese Nacht vor ihm
sicher gewesen wäre.
Mögen ...
morgen war auch ein Tag. Morgen wollte sie sich etwas ausdenken, was sie
ihrerseits ihm vorhalten konnte, um ihn ins Unrecht zu setzen. Morgen ging ihr
die Erinnerung nicht mehr so fürchterlich nach, daß sie an allen Gliedern
zittern mußte. Morgen würde sie Ashleys Gesicht nicht mehr so nah vor sich
sehen, seinen gebrochenen Stolz, seine Schande, an der sie so viel und er nur
so wenig schuld hatte. Ihr geliebter, makelloser Ashley! Ob er sie nun haßte,
weil sie ihn in Schande gebracht hatte? Sicherlich mußte er es, seitdem Melanie
sie alle beide gerettet hatte, indem sie durch das feindselige Gedränge auf sie
zugekommen war und mit herzlichen, vertrauensvollen Worten den Arm in den ihren
gelegt hatte. Wie vollendet hatte sie allen Skandal erstickt, indem sie den
ganzen fürchterlichen Abend hindurch nicht von Scarletts Seite gewichen war!
Und so waren die Leute zwar alle etwas kühl und betreten, aber doch höflich zu
ihr gewesen.
Hinter
Melanies Rücken hatte sie vor ihren Feinden, die sie haßten und sie am liebsten
in Stücke gerissen hätten, Schutz suchen müssen! Welche Schande! Daß sie gerade
in Melanies blindem Vertrauen Zuflucht finden mußte!
Bei diesem
Gedanken überlief es Scarlett kalt. Sie mußte trinken, viel trinken, ehe sie
sich hinlegen und versuchen konnte zu schlafen. Sie zog einen leichten
Schlafrock über das Nachthemd und lief durch den dunklen Flur. Ihre flachen
Pantoffeln klapperten laut durch die Stille. Sie war schon halbwegs die Treppe
hinunter, da fiel ihr Blick auf die geschlossene Eßzimmertür, und sie sah durch
den schmalen Spalt am Boden Licht schimmern. Ihr stockte der Herzschlag. War
Rhett doch zu Hause? Er hatte leise durch die Küchentür hereinkommen können.
Wenn er da war, so wollte sie schleunigst wieder ins Bett flüchten, um ihn
nicht zu sehen. In ihrem Zimmer konnte sie sich einschließen.
Sie bückte
sich, um ihre Pantoffeln auszuziehen. Da flog die Tür auf, und Rhett stand als
eine schwarze Silhouette vor dem matten Kerzenlicht, riesengroß, ein
beängstigender schwarzer Schatten, der ein wenig auf den Füßen schwankte.
»Bitte,
kommen Sie herein, Mrs. Butler«, sagte er. Seine Stimme klang belegt.
Er war
betrunken und machte keinen Hehl daraus. Das hatte sie an ihm noch nicht erlebt,
selbst wenn er noch soviel getrunken hatte. Unentschlossen blieb sie stehen. Da
hob er befehlend den Arm.
»Herkommen,
verflucht noch mal!« sagte er roh.
Er ist
sehr betrunken, dachte sie bebenden Herzens. Gewöhnlich wurde er, je mehr er
trank, nur
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