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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Verachtung, in der die Wilkes Meister
waren.
    Scarlett
wußte ja, daß ihm die Ehre über das Leben ging, und konnte sich gut in seine
Qualen hineinversetzen. Wie sie selber mußte auch er sich hinter Melanie
verkriechen. Als Frau hätte sie ihn höher geachtet, wenn er Archie erschossen
und sich vor Melanie und der Welt zu allem bekannt hätte. Sicher, es war
unbillig, dies zu verlangen, aber Rhetts Sticheleien kamen ihr nicht aus dem
Sinn. Ging Ashley wirklich als Mann aus dieser Verstrickung hervor? Von nun an
sollte unmerklich der Strahlenkranz verblassen, mit dem sie ihn seit dem ersten
Tage, da sie sich in ihn verliebte, geschmückt hatte. Der Makel der Schande und
Schuld, der auf ihr lag, ging auch auf ihn über. Heftig wehrte sie sich gegen
den Gedanken, aber um so bitterer mußte sie weinen.
    »Still,
still!« rief Melanie, ließ ihre Handarbeit fallen, stürzte aufs Sofa und zog
Scarletts Kopf an ihre Schulter. »Ich hätte gar nicht davon sprechen und dich
nicht so quälen sollen. Es muß ja auch dir furchtbar nahegehen! Wir wollen nie
wieder davon anfangen, weder untereinander noch anderen Menschen gegenüber.
Dann ist es, als sei es nie geschehen. Aber«, fügte sie ruhig und fest hinzu.
»India und Mrs. Elsing sollen mich kennenlernen. Sie sollen nur ja nicht
glauben, daß sie über meinen Mann und meine Schwägerin ungestraft Lügen in die
Welt setzen dürfen. Ich werde dafür sorgen, daß sie sich nicht mehr in Atlanta
blicken lassen können, und wer ihnen glaubt und sie bei sich empfängt, ist mein
Feind.«
    Scarlett
schaute bekümmert in die Zukunft und wußte, daß sie die Ursache zu einer Fehde
war, die die Stadt und ihre Familien auf Menschenalter hinaus entzweien würde.
     
    55
     
    Melanie
hielt Wort. Nie wieder erwähnte sie Scarlett und Ashley gegenüber den Vorfall,
und auch mit anderen sprach sie sich nicht darüber aus. Sie wahrte eine kühle
Gleichgültigkeit, die sich im Nu in eisige Steifheit verwandeln konnte, sobald
jemand darauf anzuspielen wagte. In den Wochen, die auf ihre Gesellschaft
folgten, gab sie, während Rhett auf Reisen war und die Stadt vor aufgeregtem
Klatsch brodelte, Scarletts Verleumdern keinen Pardon, selbst wenn es alte
Freunde und Blutsverwandte waren. Sie sprach nicht, sie handelte.
    Wie eine
Klette hängte sie sich an Scarlett. Wenn Scarlett allmorgendlich in den Laden
und zum Holzlager hinausfuhr, begleitete Melanie sie. Sie bestand darauf, daß
Scarlett nachmittags spazierenfuhr, obwohl sie wenig Neigung verspürte, sich
angaffen zulassen, und fuhr mit. Sie nahm Scarlett mit, wenn sie zu den
verschiedenen Besuchstagen ging, und trieb sie mit sanfter Gewalt in Salons, in
denen sie seit über zwei Jahren nicht gesessen hatte. Energisch gab sie zu
verstehen, daß, wer sie liebe, gefälligst auch ihre Freundin zu lieben habe,
und machte dabei mit der verblüfften Hausfrau die übliche Konversation.
    An solchen
Nachmittagen mußte Scarlett früh kommen und so lange bleiben, bis der letzte
Besuch gegangen war. Dadurch sahen sich die Damen des Vergnügens beraubt, die
Köpfe zusammenzustecken, zu munkeln und zu mutmaßen - was denn auch eine
gelinde Entrüstung hervorrief. Diese Besuche waren für Scarlett eine ganz
besondere Pein, aber sie wagte nicht, sich Melanie darin zu versagen. Angenehm
war es nicht, zwischen lauter Frauen zu sitzen, die sich die Köpfe zerbrachen,
ob sie wohl wirklich beim Ehebruch ertappt worden wäre, und die nur aus Liebe
oder Freundschaft zu Melanie überhaupt mit ihr sprachen. Aber nachdem sie
Scarlett einmal empfangen hatten, konnten sie sie fortan nicht mehr schneiden.
    Es war
bezeichnend für den Ruf, dessen sich Scarlett erfreute, daß man, wenn man sie
verteidigte oder verurteilte, eigentlich nie von ihrer persönlichen
Unantastbarkeit ausging. »Ich traue ihr alles zu« war der bezeichnende Ausdruck
für die allgemeine Auffassung. Scarlett hatte zu viele Feinde, als daß sie
jetzt wirkliche Verbündete hätte haben können. Ihre Worte und Taten brannten
noch in allzu vielen Herzen, und es wurde nicht viel danach gefragt, ob dieser
Skandal ihr noch schade oder nicht. Viel dringender lag allen die Frage am
Herzen, ob Melanie oder India ein Unrecht geschehe oder nicht. Die Aufregung
drehte sich weit mehr um diese beiden als um Scarlett. Im Mittelpunkt stand die
Frage: Hat India gelogen?
    Wer sich
auf Melanies Seite schlug, führte triumphierend an, daß Melanie jetzt doch
beständig mit Scarlett zusammen sei. Eine Frau von Melanies

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