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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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diente. Aber
wenn sie auch India mit ihrer trockenen, eigensinnigen Art und ihrem Fanatismus
nicht übermäßig gern hatte, so konnte sie doch dank ihr das gemütliche Heim für
sich haben, und bei Pitty gab das persönliche Behagen leichter den Ausschlag
als eine moralische Überzeugung. India blieb also da.
    Aber ihre
Gegenwart machte Tante Pitty arg zu schaffen, denn sowohl Scarlett wie Melanie
zogen daraus den Schluß, daß sie auf Indias Seite stünde. Scarlett weigerte
sich kurz und bündig, Pitty weiter mit Geld zu unterstützen, solange India mit
ihr unter einem Dach lebte. Ashley schickte India jede Woche Geld, aber
jedesmal ließ India es wortlos zurückgehen, was der alten Dame durchaus nicht
recht war. In dem roten Backsteinhaus hätte die nackte Armut Einzug gehalten,
wäre nicht Onkel Henry eingesprungen, von dem Geld anzunehmen Pitty jedoch als
eine tiefe Demütigung empfand.
    Pitty
liebte Melanie mehr als alle anderen Menschen, mit Ausnahme von sich selbst,
und Melly benahm sich jetzt gegen sie kühl und höflich wie eine Fremde. Obwohl
sie so gut wie in Pittys Hintergarten wohnte, kam sie nicht ein einziges Mal
mehr durch die Hecke herein, während sie doch sonst fortwährend bei ihr aus und
ein gegangen war. Pitty besuchte sie hingegen, weinte und beteuerte ihr ihre
Liebe und Anhänglichkeit, aber Melanie lehnte alle Erörterungen ab und erwiderte
die Besuche nicht.
    Pitty
wußte ganz genau, wieviel sie Scarlett verdankte - eigentlich ihre ganze
Existenz. Jedenfalls hatte Scarlett ihr in den schweren Tagen nach dem Kriege,
als ihr nur zwischen Henry und dem Hunger die Wahl blieb, das Heim aufrechterhalten,
sie ernährt und gekleidet und ihr die Stellung in der Gesellschaft gewahrt.
Seitdem Scarlett sich verheiratet und ihr eigenes Haus bezogen hatte, war sie
die Freigebigkeit selbst, und was den beängstigenden und doch so bestrickenden
Kapitän Butler anging - wenn er ihr mit Scarlett einen Besuch gemacht hatte,
fand sie oft auf ihrer Konsole ein funkelnagelneues Portemonnaie mit
Geldscheinen, oder ein Spitzentaschentüchlein mit Goldstücken darin war ihr
hinterrücks in den Nähkasten geschmuggelt worden. Rhett schwur jedesmal, er
wisse nichts davon, und beschuldigte sie in wenig feinem Ton, sie habe gewiß
einen heimlichen Verehrer, wobei dann gewöhnlich noch auf den backenbärtigen
Großpapa Merriwether angespielt wurde.
    Ja, Pitty
schuldet Melanie Liebe und verdankte Scarlett ihr gesichertes Dasein. Was aber
verband sie mit India? Gar nichts, nur daß Indias Anwesenheit sie davor
bewahrte, ihr angenehmes Leben aufgeben und selbständig Entscheidungen treffen
zu müssen. Es war alles höchst peinlich und äußerst schandbar. Pitty, die ihr
Leben lang nie selbständig eine Entscheidung getroffen hatte, ließ alles gehen,
wie es ging, und verweinte dabei viele Stunden ungetröstet.
    Schließlich
glaubten einige Leute wirklich an Scarletts Unschuld, nicht dank ihrer Tugend,
sondern weil Melanie daran glaubte. Andere machten innerlich ihre Vorbehalte,
gaben sich aber höflich gegenüber Scarlett, weil sie Melanie gern hatten und
sich ihre Freundschaft nicht verscherzen wollten. Indias Parteigänger grüßten
sie kalt oder schnitten sie offen. Das war höchst ärgerlich und peinlich, aber
Scarlett mußte immerhin einsehen, daß die ganze Stadt gegen sie gestanden und
sie ausgestoßen hätte, wäre nicht Melanie so rasch und entschlossen für sie
eingetreten.
     
    56
     
    Rhett blieb
ein Vierteljahr weg, und die ganze Zeit hörte Scarlett kein Sterbenswort von
ihm. Sie wußte nicht, wo er sich aufhielt, und hatte nicht einmal eine Ahnung,
ob er überhaupt wiederkäme. Die ganze Zeit ging sie erhobenen Hauptes und wehen
Herzens ihren Geschäften nach. Sie fühlte sich körperlich nicht wohl, aber auf
Melanies Geheiß ging sie täglich in den Laden und versuchte, sich wenigstens
oberflächlich um die Mühlen zu kümmern. Aber der Laden hatte plötzlich keinen
Reiz mehr für sie, und obwohl das Geschäft sich gegen das vorige Jahr
verdreifacht hatte und viel Geld einbrachte, ließ es sie gleichgültig. Mit den
Angestellten war sie sehr ungnädig. Johnnie Galleghers Mühle ging gut, und das
Holzlager verkaufte seine Bestände mit Leichtigkeit, aber was auch Johnnie
sagte oder tat, es mißfiel ihr alles. Johnnie, nicht minder irisch als sie,
bekam schließlich bei ihren Nörgeleien einen Wutanfall und drohte zu kündigen,
nachdem er einen langen Wortschwall mit der Wendung geschlossen hatte:

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