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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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hohen Grundsätzen
konnte doch wohl nicht für eine Frau eintreten, die schuldig geworden war, und
nun gar mit Melanies eigenem Gatten. Unmöglich! India war eine verschrobene
alte Jungfer, die Scarlett haßte und verleumdete und die es verstanden hatte,
Archie und Mrs. Elsing ihre Lügen einzureden.
    Aber, so
fragten Indias Verteidiger, wenn Scarlett unschuldig ist, wo steckt dann
Kapitän Butler? Warum steht er nicht seiner Frau zur Seite und stärkt ihr den
Rücken? Auf diese Frage gab es keine Antwort. Als die Wochen dahingingen und
schließlich ruchbar wurde, daß Scarlett schwanger sei, nickten die Verbündeten
Indias voller Befriedigung. Kapitän Butlers Kind konnte es nicht sein.
Allzulange schon war die Entfremdung der Gatten ein öffentliches Geheimnis,
allzulange schon hatte die Stadt an den getrennten Schlafzimmern der beiden
Anstoß genommen.
    So ging
der Klatsch um und spaltete die Stadt und selbst die eng verbundenen Familien
Hamilton, Wilkes, Burr, Whitman und Winfield in zwei Parteien. In diesen
Familien mußte jeder, einzelne sich entscheiden, Neutralität gab es nicht,
dafür sorgte Melanie mit kühler Würde und India mit ätzender Bitterkeit. Aber
auf welche Seite sich die Familienmitglieder auch schlugen, alle waren sie
Scarlett als der Ursache des ganzen Zwistes gram und fanden, sie sei all die
Aufregung nicht wert. Welcher Meinung sie auch anhingen, sie beklagten von
Herzen, daß India sich nicht gescheut hatte, ihre schmutzige Wäsche in aller
Öffentlichkeit zu waschen und Ashley in einen so erniedrigenden Skandal
hineinzuziehen. Da es aber einmal geschehen war, traten viele für sie und gegen
Scarlett ein, während die andern, die an Melanie hingen, sich um Melanie und
Scarlett scharten.
    Halb
Atlanta war mit Melanie und India verwandt oder behauptete wenigstens, es zu
sein. Die Verzweigungen der Vettern- und Schwagerschaften waren so verflochten
und verzwickt, daß nur ein geborener Georgianer sie entwirren konnte. Die
Familien Hamilton und Wilkes hatten immer zusammengehalten und in Zeiten der
Not aller Feindschaft der Welt eine unerschütterliche Phalanx entgegengestellt,
einerlei, wie der einzelne im stillen über den andern dachte. Mit Ausnahme des
Guerillakrieges zwischen Tante Pitty und Onkel Henry, der jahrelang Stoff zur
Heiterkeit gegeben hatte, war es nie und nirgends je zu offenen Zwistigkeiten
gekommen. Es waren alles sanftmütige, stille und zurückhaltende Leute, die
keine Neigung für die freundschaftlichen Zänkereien hatten, die bei den meisten
Familien von Atlanta üblich waren.
    Aber jetzt
waren sie in zwei Lager gespalten, und die Stadt durfte zusehen, wie Vettern
und Kusinen fünften und sechsten Grades einander bei diesem schändlichsten
aller Skandale in die Haare gerieten. Das brachte die größten Schwierigkeiten
mit sich und stellte die nicht verwandte Hälfte der Stadt vor harte Probleme,
weil die Fehde zwischen Melanie und India so gut wie jede gesellschaftliche
Vereinigung zerschlug. Der Thalia-Verein, der Nähzirkel für die Witwen und
Waisen der Gefallenen, der Verein zur Verschönerung der Konföderiertengräber,
der Sonnabendzirkel für Musik, das Damen-Tanzkränzchen, der Leseklub junger
Männer - alles wurde in Mitleidenschaft gezogen, selbst die vier Kirchen in
ihren Wohltätigkeitsorganisationen und Missionsgesellschaften. Man mußte mit
äußerster Behutsamkeit vorgehen, um zu vermeiden, daß Mitglieder der beiden
kriegführenden Parteien gleichzeitig in dasselbe Komitee zu sitzen kamen.
    An ihren
regelmäßigen Besuchstagen saßen die Damen zwischen vier und sechs Uhr wie auf
Kohlen, ob nicht vielleicht Melanie und Scarlett erschienen, während India und
ihre Gefolgschaft noch anwesend waren.
    Von der
ganzen Familie hatte die arme Tante Pitty am meisten auszustehen. Sie, die sich
nichts weiter wünschte, als behaglich im liebevollen Verwandtenkreise
dahinzuleben, wäre bei dieser Gelegenheit von Herzen gern Hund und Hase
zugleich gewesen, aber das ließen weder die Hasen noch die Hunde zu.
    India
wohnte bei Tante Pitty, und wenn Pitty sich zu Melanie bekannte, was ihr
Herzenswunsch war, dann zog India aus. Wenn aber India auszog, was sollte die
arme Pitty dann machen? Allein konnte sie nicht leben. Sie hätte eine Fremde zu
sich nehmen oder ihr Haus abschließen und zu Scarlett ziehen müssen, aber sie
hatte eine Ahnung, als sei Kapitän Butler daran nicht viel gelegen. Sie konnte
auch bei Melanie in dem Stübchen wohnen, das Beau als Kinderzimmer

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